Ein einziges Gen kontrolliert die Reifung des jugendlichen Hirns

„Wir wissen eine ganze Menge über die frühe Entwicklung des Gehirns; aber wir wissen erstaunlich wenig darüber, was in der späten Jugend im Gehirn passiert“, sagt Stephen Strittmatter von der Yale University in New Haven. Sein Forscherteam beobachtete bei lebenden Mäusen das Entstehen und Verschwinden von Synapsen – den Verbindungsstellen zwischen Neuronen – in einem Teil der Großhirnrinde. Dabei spielte die Aktivität des Nogo-Rezeptor-1-Gens (NgR1) eine entscheidende Rolle: Dieses Gen steuert die Produktion eines Proteins, an das das Nogo-Protein andockt und dadurch das Wachstum eines Neurons hemmt. Aber es kontrolliert auch die Bildung von Synapsen und damit die Reifung des Gehirns: Anfangs ist das Gen nur wenig aktiv und ermöglicht eine große Plastizität des Neuronennetzes. Bis zum Erreichen des Erwachsenenalters nimmt seine Aktivität zu, wodurch die ständige Bildung und Auflösung neuer Synapsen unterdrückt wird. Bei Mäusen, denen das Gen fehlt, kann daher das Gehirn nicht reifen. Das äußerte sich bei erwachsenen Tieren in größerer Lernfähigkeit und einer schnelleren Heilung von Hirnverletzungen. Der natürliche Verlust an Plastizität ließ sich durch Hemmstoffe, die das NgR1-Gen inaktivieren, sogar wieder rückgängig machen.
Diese Ergebnisse könnten für neue Therapien nach einem Hirnschlag von Bedeutung sein, wenn es beispielsweise darum geht, die Beweglichkeit eines betroffenen Körperteils wiederherzustellen. Dazu dient ein Training, durch das sich die notwendigen neuen Verbindungen zwischen Neuronen entwickeln sollen. Bei Mäusen beschleunigte ein blockiertes NgR1-Gen die Genesung von den Folgen einer Hirnverletzung. Für Menschen verträgliche Hemmstoffe des Gens könnten daher für den Erfolg einer Rehabilitation hilfreich sein. Auch zur Behandlung einer posttraumatischen Belastungsstörung wäre ein neuer Therapieansatz denkbar. Denn erste Experimente weisen darauf hin, dass bei Mäusen ohne NgR1-Gen Erinnerungen an leidvolle Erfahrungen schneller verblassen.