Die gute Seite der Pest

Skelettanalysen untermauern: Nach der heftigen Pandemie im mittelalterlichen Europa war die Bevölkerung gesünder und die Menschen lebten länger
Die Pest
Die Pest
© Arnold Böcklin (1898)
Columbia (USA) - Unverbesserliche Optimisten sind sicherlich der Meinung, dass selbst die schlimmsten Dinge im Leben immer auch ihre guten Seiten haben. Tatsächlich lässt sich sogar einer der verheerendsten Seuchen in der Menschheitsgeschichte etwas Positives abgewinnen: dem Schwarzen Tod, dem heftigen Pestausbruch im mittelalterlichen Europa. Dieser großen Pandemie, die etwa zwischen 1347 und 1351 wütete, fielen schätzungsweise 25 Millionen Menschen und damit 30 bis 50 Prozent der europäischen Bevölkerung zum Opfer. Um die Generationen danach aber war es gesundheitlich deutlich besser bestellt, berichtet eine US-Anthropologin im Fachblatt „PLoS ONE“. Die Sterberate sank und Menschen wurden deutlich älter als vor der Pest, belegt sie mit Analysen von Skeletten mittelalterlicher Londoner Friedhöfe und untermauert damit frühere Studienergebnisse.

„Diese Studie legt nahe, dass mehrere Generationen von Menschen, die nach dem Schwarzen Tod lebten, insgesamt gesünder waren als diejenigen, die vor der Seuche lebten“, erläutert Sharon N. DeWitte von der University of South Carolina in Columbia. Die Anthropologin hatte knapp 600 Skelette von Londoner Friedhöfen untersucht und das Sterbealter der Toten analysiert. Dabei stammten 464 Individuen von drei Friedhöfen, die vor der Pestpandemie genutzt wurden, 133 von einem Friedhof, der erst nach 1350 errichtet wurde. Anhand der Daten ermittelte sie Sterblichkeitsrisiko und Überlebenswahrscheinlichkeit vor beziehungsweise nach dem Schwarzen Tod. So konnte sie vergleichen, wie es jeweils um die Gesundheit der Bevölkerung Londons bestellt war.

Das Ergebnis: In der Stichprobe nach der Seuche gab es einen deutlich höheren Anteil älterer Erwachsener – deutlich mehr als zuvor verstarben erst jenseits der 50, noch mehr jenseits der 70. Die Verteilung des Sterbealters der Menschen vor und nach der großen Pestpandemie legt nahe, dass die Überlebensdauer sich nach dem Schwarzen Tod verbesserte, schreibt DeWitte. Insgesamt waren die Sterberisiken in der Bevölkerung nach der mittelalterlichen Pest niedriger als vor der Pandemie. Dementsprechend verbesserte sich der Gesundheitszustand der Menschen – zumindest in manchen Altersgruppen – nach der Seuche. Die Ergebnisse beleuchten demnach, welche Macht Infektionskrankheiten besitzen, indem sie über eine ganze Bevölkerungsgruppe hinweg die Struktur von Gesundheit und Demographie verändern können, und zwar sowohl kurz- als auch längerfristig. Bisherige Untersuchungen waren zu ähnlichen Ergebnissen gekommen, hatten sich allerdings primär auf schriftliche Dokumentationen gestützt. DeWitte sieht in diesen Studien zudem deutliche Schwächen. Ihren Ausführungen zufolge stammten beispielsweise in einer Arbeit schriftliche Daten aus Spanien und Großbritannien, die Daten zu Skelettanalysen zum Abgleich aber vor allem von Friedhöfen aus Mittel- und Osteuropa.

Es hat also den Anschein, als hätte die Seuche einfach mal gründlich aufgeräumt. Interessant ist einerseits die Frage, welche Rolle Zuwanderer nach der Seuche für die verbesserte allgemeine Gesundheit und Lebenserwartung gespielt haben könnten. Ein weiterer möglicher positiver Einfluss ging andererseits von einer Verbesserung der Ernährungslage aus. In der Zeit nach dem Schwarzen Tod gaben die Menschen mehr Geld für hochwertige Lebensmittel aus. Man aß etwa mehr hochwertiges Weizenbrot sowie mehr frisches Fleisch und frischen Fisch statt gepökelter Ware, wie es vor der Seuche üblich war. Die Frage an dieser Stelle ist laut DeWitte: Was war die direkte Ursache dieser Veränderungen? Waren sie ein Ergebnis der Selektivität der Seuche? Hatte also der Schwarze Tod gebrechlichere Menschen dahingerafft, so dass die Überlebenden aufgrund biologischer Faktoren weniger gebrechlich waren? Oder führten umgekehrt die Verbesserungen von Ernährung und weiterer wichtiger Faktoren des alltäglichen Lebens nach der Pandemie dazu, dass die Menschen gesünder waren? Wie genau diese Faktoren ineinander spielen könnten, müssten weitere Studien klären, die sich näher mit dem tatsächlichen Ernährungszustand vor und nach der Pandemie auseinandersetzen. Dazu eigenen sich etwa Analysen spezieller Isotope und Stresskennzeichen in der Knochensubtanz.

Hintergrund Pest und Schwarzer Tod
Die Pest gehört zu den wohl bekanntesten und Furcht verbreitensten Krankheiten der Menschheitsgeschichte und trat in zahlreichen Epidemien und Pandemien immer wieder und vielerorts erneut auf. Es handelt sich um eine hochgradig ansteckende Infektionskrankheit. Erreger ist das Bakterium Yersinia pestis. Wichtige Träger dieses Erregers sind Ratten, es kann aber mehr als 200 Säugetiere befallen, darunter auch Hunde und Katzen. Als zentrale Übeltäter vieler Ausbrüche gilt neben der Ratte der Floh. Die blutsaugenden Insekten fungieren als Zwischenglied bei der Übertragung von der Ratte auf den Menschen, da bei deren Biss der Krankheitserreger übertragen werden kann. Außerdem ist bei der Lungenpest, die neben der Beulenpest die häufigste Form der Krankheit ist, auch eine Ansteckung per Tröpfcheninfektion möglich. Neben diesen beiden Erscheinungsformen gibt es noch die Pestsepsis, die sich ohne Behandlung häufig aus einer Beulenpest entwickelt, und die abortive Pest, eine eher harmlose Variante. Auch heute kommt es vereinzelt durchaus noch zu Pestfällen.

Die große Pandemie, die Europa Mitte des 14. Jahrhunderts heimsuchte, wird auch als „Schwarzer Tod“ bezeichnet. Damals gab es Schätzungen zufolge rund 25 Millionen Todesopfer – mindestens ein Drittel der Bevölkerung. Vor allem ältere Erwachsene und Menschen mit körperlichem Stress und schlechtem Gesundheitszustand starben an der Krankheit. Der ursprüngliche Ausbruch fand vermutlich in Asien statt. Von dort aus breitete sich die Seuche über die Handelsrouten nach ganz Europa aus. Allerdings war lange nicht eindeutig geklärt, dass der Schwarze Tod auch tatsächlich auf Yersinia pestis zurückzuführen ist. Mittlerweile legen Genanaylsen – auch von Opfern aus der Zeit des Schwarzen Todes – nahe: Der Erreger des Schwarzen Todes von 1347 bis 1351 ist nicht nur der Vorläufer der meisten heute vorhandenen Stämme. Vielmehr ist diese Pandemie eines der historischen Ereignisse, die hauptverantwortlich sind für die Einführung und weite Verbreitung des Vorfahren aller aktuell zirkulierenden Stämme von Y. pestis, die dem Menschen gefährlich werden können.

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