Die Physik des Latte macchiato

Mehrere Espresso-Milch-Schichten formen sich erst nach komplexen Strömungsprozessen aus.
Latte macchiato: Wie sich nach dem Einkippen von Espresso in warme Milch mehrere Schichten ausbilden.
Latte macchiato: Wie sich nach dem Einkippen von Espresso in warme Milch mehrere Schichten ausbilden.
© Nan Xue, Sepideh Khodaparast, Howard A. Stone
Princeton (USA) - Oben mehr dunkler Espresso, unten mehr weiße Milch, gekrönt von einer Milchschaumhaube: Erst mehrere voneinander getrennte Schichten machen einen guten Latte macchiato aus. Binnen einiger Minuten bilden sie sich perfekt aus und bleiben verblüffend lange stabil. Diesen Prozess haben nun Wissenschaftler aus Schweden, Südkorea und den USA mit einem ausgeklügelten Mischungsexperiment und Simulationsrechnungen genauer analysiert. Wie sie in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ berichten, darf bei der Zubereitung der Espresso nicht zu langsam in die Milch gegossen werden. Denn sonst können die appetitlich-schmucken Espresso-Milch-Schichten gar nicht erst entstehen.

„Um dieses Problem systematisch untersuchen zu können, nutzten wir eine besser kontrollierbare Salzwasserlösung“, sagt Howard A. Stone von der Princeton University. Zusammen mit seinen Kollegen löste er Kochsalz in 40 Grad warmen Wasser auf und erhielt eine Salzlösung mit einer hohen Dichte knapp über einem Kilogramm pro Liter. Dies entsprach der etwas schwereren Milch im Latte macchiato. Als Ersatz für den leichteren Espresso nutzten die Forscher reines Wasser gleicher Temperatur, das sie mit einem Farbstoff blau einfärbten. Diese Mischung hatte eine geringere Dichte von etwas unter einem Kilogramm pro Liter.

Der Barista in einer Kaffeebar kippt den Espresso mit erfahrener Hand rasch in die warme Milch. Er weiß warum. Denn nur so können mehrere Schichten mit nach unten abnehmender Braunfärbung entstehen. Kontrollierter stellten die Forscher diesen Vorgang mit einer Spritze nach, mit der sie das blau gefärbte Wasser mit messbarer Geschwindigkeit in die Salzlösung injizierten. Die Durchmischung der beiden Flüssigkeiten und die danach einsetzende Bildung mehrerer Schichten unterschiedlicher Dichte verfolgten sie mit einer Filmkamera. Die Intensität der Blaufärbung diente den Physikern als Maßstab für die Durchmischung und die daraus folgende variierende Dichte. Je blauer die Flüssigkeit, desto geringer waren Salzwasseranteil und Dichte.

Unmittelbar beim Einspritzen verwirbelte der blaue Espressoersatz in der klaren Salzlösung. Mehrere Phasen mit unterschiedlicher Dichte und Farbintensität entstanden. Schon nach zwei Minuten formten sich erste Schichten aus: leichtere, intensiv gefärbte weiter oben, blassere, aber schwerere weiter unten. Doch abgeschlossen war die Schichtbildung damit nicht. Nach einer halben Stunde konnten die Wissenschaftler bis zu sieben klar voneinander unterscheidbare Schichten mit nach oben zunehmender Farbintensität und abnehmender Dichte beobachten. Verantwortlich dafür war ein komplexes Wechselspiel zwischen Abkühlung am Glasrand und variierende Dichte.

Im Detail lief die Schichtenbildung wie folgt ab: Erst bewegte sich leichterer, blau gefärbtes Wasser vom Auftrieb angetrieben nach oben, schweres, blasses Salzwasser blieb unten. Erste Schichten wurden sichtbar. Doch kühlte das eingefärbte Wasser am Glasrand bis auf Raumtemperatur weiter ab, wurde es etwas schwerer und seine Dichte nahm zu. Es sank am Glasrand nach unten. Aber nur so tief, bis es auf eine salzige Phase gleicher Dichte traf. So blockiert driftete die Flüssigkeit nach innen, bildete eine kleine waagerechte Strömungszelle und formte eine weitere Schicht. Über diesen Prozess konnten sich immer mehr Schichten mit nach unten abnehmender Blaufärbung und zugleich zunehmender Dichte formen. Physiker nennen diesen Vorgang „doppelt-diffuse Konvektion“, angetrieben durch zwei variable Materialeigenschaften – Temperatur und Salzgehalt. Einziger Nachteil eines vielschichtigen Latte macchiato: Das Getränk ist bereits deutlich abgekühlt.

Diese Schichtbildung war allerdings abhängig von der Geschwindigkeit, mit der das blaue Wasser in die Salzlösung gespritzt wurde. Floss das blaue Nass zu langsam in die Salzlösung, vermischten sich die Flüssigkeiten nur wenig. Es entstanden keine Phasen unterschiedlicher Dichte und folglich blieb die Bildung mehrerer Schichten aus. Wer den heißen Espresso nur zaghaft in die Milch tropfen lässt, erhält entsprechend auch keinen mehrschichtigen Latte macchiato. Nur eine Trennlinie zwischen fast schwarzem Espresso und weißer Milch wäre sichtbar.

Die detaillierte Analyse der Schichtenbildung dient aber nicht nur der perfekte Zubereitung eines Latte macchiato. Die Ergebnisse können auch zu eleganten und einfachen Verfahren führen, um mehrschichtige Materialien herzustellen. Stone und Kollegen zeigten dies mit ersten Versuchen, in denen sie ein mehrschichtiges System aus weichen Gelen herstellten. Diese Methode könnte in Zukunft für die Fertigung von künstlichem Gewebe und in der Materialforschung genutzt werden.

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