Biegsame Halbleiter

„Eine plastische Verformbarkeit unter mechanischer Belastung ist die Schlüsseleigenschaft für flexible Elektronik“, schreiben Yuri Grin vom Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe in Dresden und seine Kollegen vom Shanghai Institute of Ceramics. Kristalline, anorganische Halbleiter konnten bisher jedoch nicht mehr als um ein einziges Prozent verformt werden bevor sie brechen. Nur aufgeheizt auf hohe Temperaturen nahe den jeweiligen Schmelzpunkten zeigten diese Materialien eine gewisse Biegsamkeit. Doch waren sie aufgeheizt kaum mehr für den Bau elektronischer Module geeignet.
Silbersulfid jedoch vereint gute Halbleitereigenschaften mit einer großen Verformbarkeit selbst bei Raumtemperatur. Für ihre Experimente füllte das Team um Yuri Grin feine Pulver aus hochreinem Silber und Schwefel im Verhältnis 2:1 in ein hitzefestes Quarzröhrchen. Zwölf Stunden lang auf etwa 1000 Grad Celsius aufgeheizt entstand aus der Pulvermischung ein kleiner Block aus Silbersulfid. Dieser kristalline Halbleiter ließ sich unter Druck stark deformieren ohne zu brechen, entsprechend eines Schmiedevorgangs von Metallen. Unter Zugbelastung ließ er sich um gut vier Prozent seiner ursprünglichen Länge auseinanderziehen. Die elektronischen, halbleitenden Eigenschaften blieben dabei erhalten.
Verantwortlich für diese verblüffende Verformbarkeit war die Beweglichkeit der Silberatome im Kristall. Wegen dieser so genannten Diffusion blieben trotz mechanischer Belastung die Bindungen zwischen den Silberatomen erhalten. Ein für spröde Kristalle sonst zu erwartendes Zerbrechen blieb aus. Dank dieser Eigenschaft könnten nun flexible und biegsame elektronische Bauteile mit Silbersulfid als Halbleiter entwickelt werden. Mit einer elektrischen Leitfähigkeit von etwa einem Zehntel Siemens pro Meter und einer Bandlücke von 1,04 Elektronenvolt wird Silbersulfid bereits heute in einigen elektronischen und optoelektronischen Schaltkreisen genutzt, ohne allerdings die Vorteile seiner Verformbarkeit auszureizen.