Wie Viren Raupen fernsteuern

Baculoviren blockieren ein Hormon und verändern so das Verhalten des Wirtes
Raupe des Schwammspinners (Lymantria dispar)
Raupe des Schwammspinners (Lymantria dispar)
© James McNeil
University Park (USA) - Raupen des Schwammspinners, die mit Baculoviren infiziert sind, legen auffällige Verhaltensänderungen an den Tag: Sie häuten sich nicht mehr und bleiben im Endstadium der Infektion auch tagsüber in den Baumwipfeln, anstatt sich am Boden zu verstecken. Jetzt haben US-amerikanische Forscher das Gen der Viren identifiziert, das diese sogenannte Wipfelkrankheit verursacht. Es trägt die Bauanleitung für ein Enzym, das das Häutungshormon Ecdyson inaktiviert, berichten die Biologen im Fachjournal "Science". Die infizierten Raupen fressen immer weiter, ohne das nächste Entwicklungsstadium zu erreichen, und ermöglichen so eine starke Vermehrung der Viren. Sie sterben schließlich in den oberen Teilen des Baumes, so dass die freigesetzten Viren weit verbreitet werden und leicht neue Wirte finden.

Dies sei eine der ersten Arbeiten, die das Gen eines Parasiten identifiziert, das für das veränderte Verhalten eines tierischen Wirtes verantwortlich ist, sagt Kelli Hoover von der Pennsylvania State University in University Park. "Eine der besten Methoden, um komplexes Verhalten zu kontrollieren, besteht darin, Hormone zu manipulieren", so Hoover. Ihr Forscherteam hatte Raupen des Schwammspinners (Lymantria dispar) mit natürlichen oder genetisch veränderten Baculoviren infiziert. Eingeschlossen in große Plastikflaschen und mit Nahrung versorgt, hatten die Raupen des Nachtfalters die Möglichkeit, nach oben und unten zu kriechen. Wie auch unter natürlichen Bedingungen, bewegten sich die Larven nachts nach oben und hielten sich tagsüber in Bodennähe auf. Mit diesem Verhalten schützen sie sich davor, von Vögeln gefressen zu werden.

In der Endphase der Infektion blieben die mit der natürlichen Virusform infizierten Raupen im oberen Teil der Gefäße und starben dort. Waren sie mit Viren infiziert worden, denen das Gen EGT entfernt worden war, blieben sie von der Wipfelkrankheit verschont und starben am Boden des Gefäßes. Das Gen EGT bewirkt die Produktion eines Enzyms, das das Häutungshormon Ecdyson chemisch so verändert, dass seine Funktion blockiert wird. Die Forscher vermuten, dass das ausbleibende Häutungssignal die Raupe nicht nur zum ständigen Weiterfressen veranlasst, sondern allmählich auf unbekannte Weise auch das Herabkriechen bei Tagesanbruch verhindert. Für die Viren ist das ein doppelter Vorteil: Ihnen bleibt der Wirt länger erhalten, wenn er sich nicht mehr häutet. Außerdem profitieren sie davon, wenn die Raupe im Baumwipfel und nicht in Bodennähe stirbt. Denn wenn in großer Höhe die Viren aus der toten Raupe austreten, können sie sich stärker ausbreiten und mit größerer Wahrscheinlichkeit von anderen Raupen aufgenommen werden.

Durch eine Infektion verursachte Verhaltensänderungen, die dem Krankheitserreger nutzen, sind in der Biologie keine Seltenheit und kommen auch bei Säugetieren vor. So bewirkt eine Infektion mit dem Tollwutvirus, dass nachtaktive Tiere auch tagsüber aktiv werden, aggressives Verhalten entwickeln und dadurch für eine Verbreitung der Viren sorgen. Auch Grippe- und Erkältungsviren profitieren davon, wenn infizierte Menschen, statt zu Hause zu bleiben, weiter ihrer Arbeit nachgehen und Kontakt zu vielen anderen Menschen haben, bemerkt - nicht ganz ernst gemeint - Jim Slavicek, ein Mitglied des Forscherteams. Schließlich gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass es sich hierbei um ein virusgesteuertes Verhalten handeln könnte.

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Quelle: "A Gene for an Extended Phenotype" Kelli Hoover et al.; Science, doi: 10.1126/science.1209199


 

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