Weinender Wein

Grundlage für den Träneneffekt bildet der Wein als Mischung aus Wasser und Alkohol. Wird die Innenwand des Glases mit Wein benetzt, verdunstet der Alkohol in dieser dünnen Schicht schneller als das Wasser. Dadurch steigt im oberen Weinfilm die Oberflächenspannung im Vergleich zum restlichen Wein im Glas an. Die Folge: kleine Weinmengen wandern an der Glaswand nach oben, um den Unterschied der Oberflächenspannung auszugleichen. Dieser Effekt wird nach dem italienischen Physiker Matteo Marangoni (1840-1925) als Marangoni-Konvektion bezeichnet.
Doch dieser Marangoni-Effekt allein erklärt nicht, wie genau der gegen die Schwerkraft nach oben rinnende Wein wieder in mehr oder weniger Tränen nach unten rinnt. Genau diese Wissenslücke konnten nun Andrea L. Bertozzi und ihre Kollegen von der University of California in Los Angeles stopfen. Die Forscher entwickelten ein detailliertes hydrodynamisches Modell, in dem sie neben dem Marangoni-Effekt auch die Schwerkraft einbezogen. Die Berechnungen zeigten, dass der Wein in Wellen an der Glaswand nach oben fließt. Dadurch bildet sich am oberen Ende des Weinfilms eine Art Wellenberg, der Flüssigkeitsfilm wird also am oberen Rand etwas dicker. Dieser Art von Wellen gelten als instabil. Und tatsächlich zeigt sich die Instabilität in der Ausbildung von Weintränen, die von der Schwerkraft angetrieben wieder nach unten fließen.
All ihre theoretischen Vorhersagen konnte die Arbeitsgruppe um Bertozzi auch in mehreren Experimenten belegen. „Wir konnten auch reproduzieren, dass die durch instabile Wellen verursachte Tränenbildung bei steileren Glaswänden und höheren Alkohol-Konzentrationen im Wein zunahm“, erläutern Bertozzi und Kollegen. So zeigt diese Studie, dass schon längst verstanden geglaubte Alltagseffekte immer noch mit verblüffenden Details überraschen können.