Warum der Sonnentau so lange Blütenstängel hat

Entgegen der Lehrbuchmeinung schützt der lange Stiel die bestäubenden Insekten nicht davor, in die klebrigen Fallen der Blätter zu geraten, sondern erhöht die Zahl der Blütenbesucher
Die langen Stiele erheben die Blüten von Drosera pauciflora weit über die Blätter mit den Fangdrüsen.
Die langen Stiele erheben die Blüten von Drosera pauciflora weit über die Blätter mit den Fangdrüsen.
© Bruce Anderson
Matieland (Südafrika) - Fleisch fressende Blütenpflanzen haben ein zwiespältiges Verhältnis zu Insekten: Die Tiere werden einerseits gefressen, andererseits aber auch lebend als Bestäuber benötigt. Der lange Blütenstiel vieler Sonnentau-Arten hat jedoch nicht die Funktion, die bestäubenden Insekten von den klebrigen Tentakeln der Fangblätter fernzuhalten, wie es in den Lehrbüchern steht. Ein südafrikanischer Biologe hat jetzt nachgewiesen, dass die Pflanze umso mehr Bestäuber anlockt, je länger der Blütenstiel ist. Dagegen geraten auch bei den kurzstieligen Arten keine Bestäuber in die Klebefallen. Der lange Stiel dient also allein der Fortpflanzung, schreibt der Forscher im Fachblatt "Annals of Botany". Ob das auch für andere Fleisch fressenden Pflanzen zutrifft, müssen weitere Arbeiten prüfen.

"Die experimentellen Daten zeigen, dass die Erklärung der Lehrbücher falsch ist. Es geht nicht um Nahrung, sondern um Sex", sagt Bruce Anderson von der University of Stellenbosch in Südafrika. Er beobachtete die Bestäubung von jeweils 500 Pflanzen zweier benachbart wachsender Arten des Sonnentaus. Die eine, Drosera pauciflora, bildet einen über 15 Zentimeter langen Blütenstiel, während die Blattrosette mit den Klebefallen in Bodennähe bleibt. Die andere, Drosera cistiflora, hat nur drei Zentimeter lange Stiele, so dass die Entfernung zwischen Blüte und Blätter viel geringer ist. Wenn die gängige Bestäuber-Schutz-Hypothese zur Erklärung langer Blütenstiele zuträfe, müssten beim langstieligen Sonnentau weniger Bestäuber an den klebrigen Tentakeln hängen bleiben als beim kurzstieligen.

Es stellte sich aber heraus, dass in beiden Fällen keine Bestäuber in die Falle gingen. Alle Beutetiere waren kleiner als zwei Millimeter, während als Bestäuber überwiegend mehr als fünf Millimeter große Käfer dienten. Die durch lange Stiele bewirkte räumliche Trennung zwischen Blüte und Fangblatt hatte also keinen Schutzeffekt. In einem weiteren Experiment setzte der Biologe Blüten mit langen und durch Abschneiden verkürzten Stielen derselben Sonnentau-Art in Röhrchen, die er im Boden vergrub. "Die Blüten waren identisch. Der einzige Unterschied war ihre Höhe", sagt Anderson. Das Ergebnis war eindeutig: Die langstieligen Blüten wurden zehnmal häufiger von Insekten besucht als die anderen. Das spricht für die Bestäuber-Anziehungs-Hypothese. "Der Sonnentau erhöht durch die langen Blütenstiele die Chance der Bestäubung und maximiert damit den Fortpflanzungserfolg", so Anderson. Das heißt, dass sich langstielige Blüten bei Fleisch fressenden und anderen Pflanzen aus dem gleichen Grund entwickelt haben. Übermäßig lang dürfen die Stiele aber auch nicht werden. Denn mit ihnen wächst die Gefahr, Pflanzen fressenden Säugetieren zum Opfer zu fallen.

© Wissenschaft aktuell
Quelle: "Did Drosera evolve long scapes to stop their pollinators from being eaten?", Bruce Anderson; Annals of Botany, Online-Publikation, doi:10.1093/aob/mcq155


 

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