Warum der Erdmantel Strom leitet
"Wir zeigen, dass die Leitfähigkeit der ozeanischen Asthenosphäre mit Anteilen an Karbonatschmelzen von 0,1 Volumenprozent erklärt werden kann", schreiben Fabrice Gaillard und seine Kollegen von der Université d'Orléans und dem Instituto Nazionale di Geofisica e Vulcanologia in Palermo. In ihrem Labor stellten sie die Druck- und Temperaturbedingungen nach, die in bis zu 360 Kilometer Tiefe herrschen. Messungen an Lithium-, Kalium- und Magnesiumkarbonaten ergaben, dass die elektrische Leitfähigkeit bei Temperaturen von 400 bis 1000 Grad Celsius auf Werte zwischen 50 und 200 Siemens pro Meter ansteigen. Karbonatschmelzen sind damit 1000 mal leitfähiger als geschmolzene Silikate und leiten Strom sogar 100.000 besser als Olivin-Minerale mit Wasseranteilen.
Auf der Grundlage dieser Messungen konnten Gaillard und Kollegen abschätzen, dass sehr geringe Karbonatanteile von bis zu 0,1 Volumenprozent im oberen Erdmantel ausreichen, um die elektrische Leitfähigkeit der Gesteinsschichten zu erklären. Sie untermauern ihre Karbonat-Theorie mit Proben vom Mittelozeanischen Rücken im Pazifik. Hier entsteht fortwährend neuer Meeresboden aus Gesteinsmassen, die aus den Tiefen des oberen Erdmantels aufsteigen. Die Zusammensetzung dieses Krustengesteins mit seinen Anteilen an Kohlendioxid legt nahe, dass tatsächlich Karbonate und weder Silikatschmelzen noch wasserhaltige Olivine für die elektrische Leitfähigkeit im Erdmantel verantwortlich zeichnen.
Mit diesen Ergebnissen müssen die bisher gängigen Modelle zur Zusammensetzung des oberen Erdmantels wahrscheinlich überarbeitet werden. Das kann nicht nur zu einem besseren Verständnis der Mineralschmelzen im Erdmantel führen, sondern auch wichtige Daten für die Gewinnung von Rohrstoffen in der Zukunft liefern. "Kohlenstoffreiche Schmelzen haben das Potenzial, einen weiteren Austausch von Kohlenstoff zwischen Mantel und Erdöberfläche zu verstehen: Diamanten", schreibt Rob L. Evans, Geologe von der Woods Hole Oceanographic Institution, in einem begleitenden Kommentar. Weitere Untersuchungen von geologisch jungen Krustengesteinen, gesammelt an anderen Stellen der Mittelozeanischen Rücken, können wichtige Hinweise liefern, ob die Leitfähigkeit der Mantelgesteine tatsächlich auf Karbonatschmelzen beruht.
"Carbon in Charge", Rob L. Evans, Science, Vol. 322, S. 1338