Warum Greifvögel zu Transvestiten werden

Männliche Rohrweihen profitieren von weiblicher Verkleidung, weil sie dann seltener von anderen Männchen attackiert werden
Bei Rohrweihen gibt es das für Vögel sehr ungewöhnliche Phänomen der weiblichen Mimikry.
Bei Rohrweihen gibt es das für Vögel sehr ungewöhnliche Phänomen der weiblichen Mimikry.
© Audrey Sternalski
Deux-Sèvres (Frankreich) - Manche männlichen Rohrweihen tragen ein Federkleid, das dem der Weibchen gleicht. Französische und spanische Biologen haben jetzt untersucht, warum sich diese sogenannte weibliche Mimikry entwickelt hat. Mit Hilfe unterschiedlicher Vogelattrappen testeten sie die Reaktion von Männchen auf Eindringlinge in ihr Revier. Es zeigte sich, dass die "Transvestiten" durch ihre Verkleidung vor Aggressionen ihrer Geschlechtsgenossen geschützt waren. Das ermöglicht es ihnen, unbehelligt in der Nähe fremder Brutreviere zu brüten. Da sich verkleidete Männchen nicht aggressiv gegenüber männlichen Vögeln verhalten, profitieren auch die typischen Männchen von solchen Nachbarn. Diese Form der Mimikry könnte man als dauerhaften Nichtangriffspakt bezeichnen, der für alle Beteiligten vorteilhaft ist, schreiben die Forscher im Fachblatt "Biology Letters".

"Wir haben gezeigt, dass der Hauptnutzen eines weiblichen Gefieders für die Männchen darin besteht, die Aggressionen anderer Männchen während der Brutzeit zu verringern", erklären Audrey Sternalski vom Centre d'Etudes Biologiques de Chizé in Deux-Sèvres und ihre Kollegen. Die Biologen beobachteten 36 Paare brütender Rohrweihen (Circus aeruginosus), von denen 40 Prozent der erwachsenen Männchen dauerhaft ein weibliches Federkleid trugen. Im Gegensatz zum überwiegend grauen Gefieder typischer Männchen waren ihre Federn mehr braun gefärbt, was für die weiblichen Vögel typisch ist. Die Transvestiten unterschieden sich von den Weibchen noch in der Farbe der Augen und Füße sowie durch die geringere Körpergröße. Für ihre Experimente stellten die Forscher in Nestnähe drei Arten von Vogelattrappen auf: solche, die aussahen wie typische Männchen, wie richtige Weibchen und wie verkleidete Männchen. Damit simulierten sie das Eindringen eines fremden Vogels in ein Brutrevier.

Typische Männchen griffen Attrappen eines anderen typischen Männchens eher an, als dass sie Attrappen von Weibchen oder verkleideter Männchen attackierten. Erstaunlicherweise verhielten sich die Transvestiten ähnlich wie Weibchen: Sie reagierten kaum auf Attrappen typischer oder verkleideter Männchen, sondern mehr auf weibliche Vogelattrappen. Der Schutz durch die Mimikry macht verständlich, warum die Transvestiten in größerer Nähe zu einem anderen Nest brüten können als typische Männchen. Das tun sie, um nicht in ungünstigere Reviere ausweichen zu müssen. Wahrscheinlich profitieren auch die typischen Männchen davon, wenn ihr Brutnachbar kein streitbarer Rivale, sondern nur ein wenig aggressiver Transvestit ist. Die enge Nachbarschaft könnte den normalen Männchen auch mehr Gelegenheit zu Seitensprüngen verschaffen, vermuten die Forscher. Die unterschiedliche Gefiederfärbung männlicher und weiblicher Rohrweihen beruht auf einem unterschiedlichen Gehalt an Melaninpigmenten. Ob dafür in erster Linie die Gene oder Umweltfaktoren verantwortlich sind, müssen weitere Untersuchungen noch klären.

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Quelle: "Adaptive significance of permanent female mimicry in a bird of prey", Audrey Sternalski et al.; Biology Letters, doi: 10.1098/rsbl.2011.0914


 

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