Vom Neptunmond zum Nanoschaltkreis: Eiskristalle aus dem All zeigen seltsame Eigenschaften
"Es war wirklich unerwartet", so Dominic Fortes, Planetengeologe des University College London (UCL), "mein Fokus liegt darauf, die Mechanismen hinter vulkanischen Eruptionen im äußeren Sonnensystem zu verstehen. Wenn meine Ergebnisse die Türen für angewandte Wissenschaft auf der Erde öffnen, ist das ein Bonus." Fortes und Kollegen hatten das Eismaterial, aus dem etwa der Saturn-Mond Enceladus und der Neptun-Mond Triton bestehen, auf der Erde den im All typischen Druck- und Temperaturschwankungen ausgesetzt und unter Neutronenstreuung untersucht. An den Forschungszentren der Neutronenquellen ILL in Grenoble und ISIS im britischen Chilton bestätigte sich das ungewöhnliche Verhalten: Eine Temperatursteigerung zwischen 4 und 160 Kelvin bei normalem Umgebungsdruck am ISIS führte zum Schrumpfen in zwei Dimensionen beim Ausdehnen in der dritten – so genannte negative thermische Expansion (NTE), das Material wurde flacher und schmaler, aber länger. Am ILL zeigte sich obendrein eine negative lineare Kompressibilität (NLC): Bei Temperaturen zwischen 32 und 209 Kelvin und steigendem Druck bis zu 500 Megapascal - dem 5000-fachen Atmosphärendruck, wie er etwa 400 Kilometer tief im Inneren des Eismondes Titan vorherrscht - dehnte sich das Material in zwei Dimensionen aus, während es in einer schmaler wurde. Grund dafür ist das ungewöhnliche Kristallgitter des Methanol-Monohydrats: an den Spitzen verbundene Rhomben, gebildet durch die Kombination von Hydroxyl-Wasser-Ketten mit Methylgruppen, die in Richtung der NTE/NLC-Achse ausgerichtet sind. Entfernte Ähnlichkeit im Alltag haben komprimierbare Blumengitter oder Weinständer, die beim Druck in eine Richtung länger werden und sich schmal zusammenfalten.
Die "Eis-Lava" ist nicht das erste bekannte Material mit negativer linearer Kompressibilität und negativer thermischer Expansion, doch Materialien, die dies im kleinsten Maßstab auf molekularer Ebene zeigen, "solche kristallinen Festkörper mit intrinsischer NLC, sind extrem ungewöhnlich", schreibt das Team. Gerade deshalb aber wird das Material auch für Mikro- und Nanoelektroniker interessant: Seine Formveränderung ließe sich wie mikroskopisch kleine Druck-gesteuerte Ventile nutzen, die den Stromfluss in gewünschte Richtungen lenken.