Verkohlte Papyrus-Rollen mit Röntgenlicht lesen

Beim Ausbruch des Vesuvs wurden die Schriftstücke vor 2000 Jahren fast vernichtet. Forscher hoffen nun auf bisher unbekannte altgriechische Texte
Unlesbar? - Verkohlte Papyrus-Rolle (Herc.Paris.4, etwa fünf Zentimeter hoch), die in einer Bibliothek im zerstörten Herculaneum gefunden und nun teilweise entziffert wurde.
Unlesbar? - Verkohlte Papyrus-Rolle (Herc.Paris.4, etwa fünf Zentimeter hoch), die in einer Bibliothek im zerstörten Herculaneum gefunden und nun teilweise entziffert wurde.
© E. Brun, ESRF
Neapel (Italien) - Beim Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79 vergrub eine Glutlawine aus Magma und heißer Asche die Städte Pompeji und Herculaneum unter sich. Dabei verkohlten auch hunderte Papyrus-Rollen in der Bibliothek von Julius Caesars Schwiegervater Lucius Calpurnius Piso Caesonius. Dank ausgeklügelter Röntgentechnik gelang es nun italienischen und französischen Wissenschaftlern, diese Schriftstücke zerstörungsfrei nach über 2.000 Jahren erstmals wieder zu lesen, zumindest in kurzen Fragmenten. Bei allen früheren Entzifferungsversuchen zerbröselten einzelne dieser empfindlichen verkohlten Rollen. Wie die Arbeitsgruppe in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ berichtet, könnten nun Historiker auf bisher völlig unbekannte Texte aus der philosophischen Schule der Epikureer hoffen.

Vito Mocella und seine Kollegen wandten dazu eine noch junge Röntgenmethode an der Europäischen Synchrotronquelle in Grenoble (ESRF) an. Mit dieser stellten sie sich einer großen Herausforderung. Da sowohl die verkohlten Rollen als auch die im Altertum verwendete Tinte aus Kohlenstoff bestehen, wird Röntgenstrahlung gleichermaßen schwach absorbiert. Eine Unterscheidung zwischen beschriebenem und unbeschriebenem Papyrus schien unmöglich. Aber mit einer speziellen Methode, der Röntgenphasenkontrast-Tomografie, ließen sich dennoch Unterschiede zwischen den beiden verkohlten Substanzen feststellen. Denn die verkohlte, rußhaltige Tinte wies im fokussierten Röntgenstrahl einen etwas anderen Brechungsindex auf als das verkohlte Papyrus-Material.

Für ihre Versuche lenkten die Forscher nun einen intensiven Röntgenstrahl auf eine Papyrus-Rolle, die 1802 Napoléon Bonaparte als Geschenk erhalten hatte und seitdem in der Sammlung des Institut de France aufbewahrt wurde. Nach der Bestrahlung konnten die Forscher eine Phasenverschiebung feststellen, die abhängig davon war, ob das Röntgenlicht auf verkohlte Tinte oder auf einen unbeschriebenen Abschnitt der Papyrus-Rolle auftraf. Diese Phasenverschiebung ließ sich mit einem Röntgendetektor aufzeichnen. Aus den ersten etwa 2.000 Datensätzen, den sogenannten Radiogrammen, konnten die Schriftzeichen über einen Rekonstruktions-Algorithmus sichtbar gemacht werden.

Lange Versuchsreihen brachten bisher allerdings nur einzelne Buchstaben und Wörter zum Vorschein. Doch die Analyse der griechischen Buchstaben und des Schriftbilds ließ bereits erste Rückschlüsse auf den Verfasser der Texte zu. So handelt es sich vielleicht um einen Text von Philodemus von Gadara, einem epikureischen Philisophen und Dichter aus dem 1. Jahrhundert vor Christus.

Nach diesem ersten Entzifferungserfolg hoffen die Forscher nun, ihre Methode weiter optimieren zu können. Sie halten es für wahrscheinlich, dass dann das Lesen einer ganzen verkohlten Papyrus-Rolle nur noch einige Stunden Messzeit an der Synchrotronquelle erfordern könnte. Gelingt dieser Schritt, ließe sich vielen weiteren Schriften ihr verkohltes Geheimnis entlocken. So harrt der Großteil der verkohlten Papyrus-Rollen in der Nationalbibliothek von Neapel darauf, entziffert zu werden. Es ist nicht auszuschließen, dass dabei auch völlig unbekannte Schriften, die im Laufe der Jahrhunderte nicht von Mönchen kopiert wurden, entdeckt werden.

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