Verhaltensauffälligkeit: bei Jungs vererbt, bei Mädchen erlernt?

Bei Jungen ist offenbar eine genetische Veranlagung schuld an der Verhaltensauffälligkeit, bei Mädchen eher problematische soziale Situationen
Seattle (USA) - Wenn Jungen verhaltensauffällig sind, dann zeigt sich dies auch in manchen körperlichen Reaktionen. Bei Mädchen ist dieser Zusammenhang nicht festzustellen. Daher vermuten jetzt amerikanische Wissenschaftler, dass Verhaltensauffälligkeit bei den beiden Geschlechtern verschiedene Ursachen hat. Wie sie in der Zeitschrift "Journal of the American Academy of Child & Adolescent Psychiatry" darlegen, könnte Verhaltensauffälligkeit bei Jungen genetisch bedingt sei. Bei Mädchen scheint die Störung dagegen auf soziale Probleme zurückzugehen.

Auf zehn Jungen mit auffälligem Sozialverhalten kommt ein einziges solches Mädchen. Aus diesem Grund hat sich die Forschung bisher vor allem mit verhaltensauffälligen Jungen beschäftigt. Jetzt wandte sich das Team um Theodore Beauchaine von der University of Washington den möglicherweise unterschiedlichen Ursachen von Verhaltensauffälligkeit zu. Bei betroffenen und bei "normalen" Jungen und Mädchen im Alter zwischen acht und zwölf Jahren beobachteten die Forscher die Reaktionen des vegetativen Nervensystems, während die Kinder vor einem Videospiel saßen. Es zeigte sich, dass die verhaltensauffälligen Jungen einen niedrigeren Puls hatten und weniger schwitzten als die unauffälligen Jungen. Die verhaltensauffälligen Mädchen unterschieden sich in den Reaktionen ihres vegetativen Nervensystems überhaupt nicht von den unauffälligen Mädchen.

In einem großangelegten Experiment mit 110 Jungen und 65 Mädchen konnten die Forscher diese Befunde dann erhärten. In dem Experiment sollten die Kinder, von denen die Hälfte die Diagnose "verhaltensauffällig" hatte, Zahlen von einem Computerbildschirm auf dem Zahlenblock der Tastatur nachtippen. Bei korrektem Nachtippen konnten die Kinder Geld gewinnen, insgesamt bis zu 50 US-Dollar. Die Forscher stellten diese Möglichkeit in Aussicht, da 50 Dollar für Kinder in diesem Alter eigentlich eine aufregend hohe Geldsumme ist. "Normale Jungen hat das Spiel ganz schön aufgeregt, Jungen mit Verhaltensproblemen dagegen kaum", berichtet Beauchaine. "Bei den Mädchen waren die Reaktionen sowohl bei den Verhaltensauffälligen als auch bei den Normalen völlig gleich." Das bedeutet, die Sensationslust bei Jungen mit Verhaltensproblemen wurde selbst durch ein Spiel mit vergleichsweise hohen Gewinnchancen noch nicht wirklich befriedigt.

Zu 80 Prozent, so die Forscher, sind die Verhaltensauffälligkeiten wie Impulsivität, scheinbar grundloses aggressives Verhalten oder Konzentrationsschwäche vererbbar. "Wenn jemand diese genetische Veranlagung hat, heißt das noch nicht, dass er verhaltensauffällig wird, aber er hat eine größere Wahrscheinlichkeit, es zu werden", sagt Beauchaine. "Dass sich bei Mädchen mit Verhaltensproblemen diese biologischen Kennzeichen nicht finden, legt die Vermutung nahe, dass ihr Verhalten durch etwas anderes gesteuert wird. Das können soziale Einflüsse wie unzureichende elterliche Fürsorge sein. Es kann aber auch sein, dass ein Mädchen mit den falschen Kids rumhängt." Wenn die Ursachen für Verhaltensauffälligkeit bei den Geschlechtern derart verschieden sind, so die Forscher, dann sollte auch über verschiedene Behandlungsansätze für Jungen und Mädchen nachgedacht werden.

University of Washington
Quelle: "Sex Differences in Autonomic Correlates of Conduct Problems and Aggression", Theodore P. Beauchaine, James B.S. Hong,, Penny M.S. Marsh; Journal of the American Academy of Child & Adolescent Psychiatry, Vol 47, iss. 7, S. 788-796


 

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