Urahn der Pflanzen ist „Mikrobe des Jahres 2014“

Im Volksmund heißen sie auch Hexengespei oder Teichpflaume: Deutsche Mikrobiologen präsentieren Cyanobakterien der Gattung Nostoc als ein Beispiel für die zahlreichen Arten von Kleinstlebewesen mit zentraler Bedeutung für das Leben auf der Erde
„Teichpflaumen“ – Bei diesen gallertigen Kugeln handelt es sich um Kolonien von Cyanobakterien der Art Nostoc pruniforme.
„Teichpflaumen“ – Bei diesen gallertigen Kugeln handelt es sich um Kolonien von Cyanobakterien der Art Nostoc pruniforme.
© Christian Fischer / Creative Commons (CC BY-SA 3.0), http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en
Frankfurt am Main - Wasser, Luft und Licht ist alles, was sie zum Leben braucht – die erstmals gekürte „Mikrobe des Jahres“: Nostoc. Sie dürfte den meisten Menschen allerdings ziemlich unbekannt sein. Sehr zu unrecht. Schließlich verdanken wir den Cyanobakterien, zu denen diese Gattung zählt, nichts weniger als unsere Existenz. Sie haben die Photosynthese zwar nicht erfunden – das waren andere Bakterien. Aber vor etwa drei Milliarden Jahren nutzten sie als erste Lebewesen diesen Prozess der Umwandlung von Sonnenenergie in chemische Energie so, dass dabei Sauerstoff entstand. Dieser reicherte sich in unserer Atmosphäre an und bildete die Grundlage für die Entwicklung tierischen Lebens. Zudem wurden Nostoc-Verwandte vor mehr als einer Milliarde Jahren zu Chloroplasten, einem Zellbestandteil, dem alle heutigen Pflanzen ihre Fähigkeit zur Photosynthese verdanken. Doch die Mikrobe des Jahres hat sich ihren Titel noch durch einige weitere ungewöhnliche Eigenschaften verdient. Dazu zählt, dass Ansammlungen dieser früher als „Blaualgen“ bezeichneten Bakterien in der Natur mit bloßem Auge sichtbar sind. Mit der jährlichen Wahl und Präsentation eines Kleinstlebewesens wollen die Mitglieder der Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie (VAAM) das oft einseitig negative Bild von Mikroben in der Öffentlichkeit korrigieren und den Bekanntheitsgrad einzelner Arten steigern.

„Wir haben Bakterien mehr zu verdanken als Infektionen“, sagte VAAM-Mitglied Harald Engelhardt vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried auf der Pressekonferenz in Frankfurt am Main. Die öffentliche Wahrnehmung von Mikroben sei leider fokussiert auf die relativ geringe Zahl an Krankheitserregern. Dabei seien die weitaus meisten Mikrobenarten harmlos und viele davon sogar unentbehrlich für das globale Ökosystem und unsere Ernährung. Cyanobakterien sind als einzige Lebewesen in der Lage, sowohl Kohlendioxid als auch den Luftstickstoff zu verwerten, das heißt in organische Substanz zu überführen. Letzteres geschieht in spezialisierten Zellen, den Heterozysten. Nostoc-Arten bilden lange Ketten aus fünf Mikrometer großen Einzelzellen. Einige davon können sich stark vergrößern, ihre Zellwand verdicken und zu sogenannten Akineten werden, sporenartige Dauerformen, die lange Trockenperioden überstehen. Die Fähigkeit zur Bildung verschiedener Zelltypen ist für ein ‚primitives’ Bakterium sehr ungewöhnlich. Darüber hinaus kann Nostoc auf Oberflächen kriechen und mit Hilfe von im Zellinnern erzeugten Gasbläschen im Wasser schweben.

Nostoc-Arten besiedeln Gewässer, kommen aber auch auf nährstoffarmen Böden vor. In einer Symbiose mit Pilzen leben sie als Flechten. Auch mit Moosen, Farnen oder anderen Pflanzen können sie Lebensgemeinschaften bilden. Die Spezies Nostoc pruniforme wird Teichpflaume genannt, da ihre Kolonien zu mehrere Zentimeter großen kugeligen Zellverbänden heranwachsen. Man findet sie heute nur noch selten und nur in sauberen Teichen und Seen. Nostoc commune bildet grün-braune, handtellergroße gallertige Fladen, denen man an Wegrändern begegnen kann. Bei Trockenheit sind sie kaum sichtbar, quellen aber nach einem Regen schnell wieder auf. Hexengespei, Teufelsdreck und Engelsschnäuze sind nur drei von vielen volkstümlichen Namen dieser Lebensform, die bereits der Naturforscher Paracelsus in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts beschrieben und als „Nostoch“ bezeichnet hat. „Damit trägt Nostoc seit fast 500 Jahren den ältesten wissenschaftlichen Namen aller Mikroben“, betont Engelhardt. Die Cyanobakterien wurden aber lange Zeit für Algen oder Pilze gehalten, bis man ihre bakterielle Natur erkannte.

Weitere Informationen bietet die Webseite www.mikrobe-des-jahres.de, auf der die VAAM Schüler und Studenten auch zu einem Wettbewerb aufruft: Das beste Foto, Video oder künstlerisch gestaltete Bild der Mikrobe des Jahres wird prämiert. Die VAAM vertritt rund 3500 mikrobiologisch orientierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Forschung und Industrie.

© Wissenschaft aktuell
Quelle: Pressemitteilung der Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie (VAAM), http://www.vaam.de


 

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