Schnelle Evolution im Labor: Aus Einzellern werden Mehrzeller

In überraschend kurzer Zeit lassen sich durch einfache Auslese einzellige Hefen so verändern, dass sie nur noch in Form von Zellverbänden wachsen
Flockenförmiger Zellverband von Hefen mit toten Zellen (rot gefärbt)
Flockenförmiger Zellverband von Hefen mit toten Zellen (rot gefärbt)
© William C. Ratcliff, University of Minnesota
Minneapolis (USA) - Die Entstehung mehrzelliger Lebewesen aus Einzellern war ein bedeutender Schritt in der Evolution. Dieser Prozess könnte aber schneller erfolgt sein als bisher angenommen, berichten amerikanische Biologen. Mit einem einfachen Ausleseverfahren gelang es ihnen, wachsende Kulturen einzelliger Hefen in nur zwei Monaten so zu verändern, dass sie nur noch in Form fester Zellverbände wuchsen. Im Gegensatz zur Ausgangsform lösten sich die Zellen nach einer Teilung nicht mehr voneinander, sondern bildeten flockenartige, mehrzellige Strukturen. Wie in einem vielzelligen Organismus übernahmen die genetisch gleichen, miteinander verbundenen Zellen auch unterschiedliche Aufgaben. Offenbar setzt eine Evolution von Mehrzelligkeit keine langwierigen komplexen Veränderungen im Erbgut voraus, schreiben die Forscher im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)”.

„Wir haben gezeigt, dass sich die ersten kritischen Schritte beim Übergang von einzelligem zu mehrzelligem Leben unter geeigneten Selektionsbedingungen erstaunlich schnell entwickeln können“, berichten die Forscher um William Ratcliff von der University of Minnesota in Minneapolis. Sie vermehrten die normalerweise einzellige Bäcker- oder Bierhefe (Saccharomyces cerevisiae) in flüssigen Nährlösungen. Anstatt nach jeweils einem Tag eine kleine Probe der gut gemischten Kulturflüssigkeit in eine neue Nährlösung zu geben, ließen sie die Gefäße zunächst 45 Minuten lang ruhig stehen. Dann entnahmen sie zur weiteren Kultivierung nur Zellen vom Boden der Kulturgefäße. Diese Selektion begünstigte große oder miteinander verbundene Zellen, die schneller sedimentieren als kleine Einzelzellen.

Nach 60 Tagen bestand die Hefekultur überwiegend aus miteinander verbundenen Zellen, die im Mikroskop Schneeflocken ähnelten. Die Hefezellen hatten sich im Vergleich zur Ausgangsform dauerhaft genetisch verändert. Sie behielten die Flockenform auch dann noch bei, wenn der Selektionsdruck wegfiel. Die Forscher konnten nachweisen, dass sich die Zellverbände nicht durch Zusammenlagerung von Einzelzellen bildeten. Sie entstanden vielmehr dadurch, dass sich nach einer Teilung Mutter- und Tochterzelle nicht mehr wie zuvor vollständig trennten. Bei der Vermehrung verhielten sich die Hefeflocken ähnlich wie ein mehrzelliger Organismus: Wurde eine bestimmte Größe erreicht, lösten sich kleine „Tochterflocken” aus dem Verband. Diese Abtrennung ermöglichten einige Hefezellen dadurch, dass sie den programmierten Zelltod, die Apoptose, auslösten. So erzeugten die abgestorbenen Zellen die nötigen Bruchstellen im Zellverband.

Die Entwicklung vielzelliger Lebewesen aus einzelligen Ausgangsformen sei im Lauf der Evolution mehrmals unabhängig voneinander abgelaufen, schreiben die Biologen. Ihre Laborexperimente zeigen, dass bei ausreichend starkem Selektionsdruck eine solche Veränderung der Lebensform schon nach wenigen Generationen möglich ist.

© Wissenschaft aktuell
Quelle: „Experimental evolution of multicellularity”, William C. Ratcliff et al.; Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), DOI: 10.1073/pnas.1115323109


 

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