Schnacken oder ratschen?

Nacktmulle unterhalten sich in Dialekten
Eine strikte Hierarchie regelt, wer hier wen überholen darf.
Eine strikte Hierarchie regelt, wer hier wen überholen darf.
© Colin Lewin
Berlin - Piepsen ist nicht gleich Piepsen und Zwitschern nicht gleich Zwitschern – zumindest nicht bei Nacktmullen. Die kleinen, unterirdisch lebenden Nager entwickeln Dialekte, die sich von Kolonie zu Kolonie deutlich unterscheiden und stark von der jeweiligen Königin geprägt sind. Die Tiere haben ein hochentwickeltes Sozialleben mit klarer Rollenverteilung, ähnlich wie in Insektenstaaten. Für dieses spielt verbale Kommunikation offenbar eine tragende Rolle, belegen Beobachtungen eines deutsch-südafrikanischen Forscherteams. Die Biologen hatten die an Vogelgezwitscher erinnernden Pieps-, Zirp-, Zwitscher- und Grunzlaute, welche Nacktmulle beinahe ununterbrochen leise von sich geben, näher analysiert und schildern ihre Forschungen im Fachblatt „Science“.

„Mit unserer Studie wollten wir herausfinden, ob diese Laute für die Tiere, die nach strengen Regeln in ihrem eigenen kleinen Staat leben, eine soziale Bedeutung haben“, erläutert Gary Lewin vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft, der Senior-Autor der Studie. Dazu hatte seine Arbeitsgruppe gemeinsam mit Kollegen aus Südafrika rund zwei Jahre lang sieben Labor-Kolonien von Nacktmullen (Heterocephalus glaber) aus Berlin und dem südafrikanischen Pretoria ausgiebig belauscht. Die dabei gesammelten mehr als 36.000 Laute von 166 Tieren analysierten die Forscher, unter anderem mit Hilfe eines speziell für diesen Zweck entwickelten Computerprogramms.

Es stellte sich heraus, dass jeder Nacktmull seine eigene Stimme und jede Kolonie ihren eigenen Dialekt hat. Das Computerprogramm war sogar in der Lage, sowohl jedes einzelne Tier anhand der Laute zu erkennen, als auch vorherzusagen, aus welcher Kolonie es stammte. „Jede Kolonie könnte also ihren eigenen unverwechselbaren Dialekt besitzen“, sagt Alison Barker, Lewins Kollegin und die Erstautorin der Studie. Um diese Vermutung zu erhärten und um herauszufinden, ob sich die Nager tatsächlich an den Lauten orientieren, führten die Forscher weitere Experimente durch. So setzten sie einen Nacktmull in ein System aus zwei miteinander verbundenen Kammern, wobei nur in einer die Zwitscherlaute eines Artgenossen zu hören waren, und beobachteten das Verhalten.

„Die Tiere suchten stets unverzüglich die Kammer mit den eingespielten Lauten auf“, erzählt Barker. Stammte das Zwitschern von einem Tier aus der eigenen Kolonie, antwortete der Nacktmull sogar häufig sofort. Bei Lauten aus einer fremden Kolonie, blieb er dagegen meist still. „Das ließ uns vermuten, dass die Tiere den eigenen Dialekt erkennen und nur auf ihn reagieren“, sagt Barker. Dasselbe Verhalten legten die Nacktmulle an den Tag, wenn die Forscher mittels des Computerprogramms künstliche Laute erzeugten, die aber die spezifischen Kriterien des jeweiligen Dialekts erfüllten. „Offenbar stärkt die Ausbildung einer speziellen Mundart das Zugehörigkeitsempfinden und den Zusammenhalt im Nacktmull-Staat“, sagt Barker. Die akustische Kommunikation ist dabei offenbar sogar wichtiger als die olfaktorische, legten weitere Experimente nahe. Denn die Nager reagierten auch dann noch auf diese Weise, wenn die Forscher die Laute aus der eigenen Kolonie mit dem Duft aus einer fremden Kolonie koppelten.

Und noch weitere Details konnten die Biologen belegen: Der Dialekt wird offenbar erlernt und die Königin der Kolonie spielt dabei eine zentrale Rolle. So nahmen verwaiste Nacktmull-Junge, welche die Forscher in eine fremde Kolonie gaben, in der die Königin ebenfalls grade Junge geworfen hatte, nach etwa einem halben Jahr den Dialekt dieser Kolonie an. Die Rolle der Königin kristallisierte sich heraus, als eine Kolonie zweimal nacheinander das „Staatsoberhaupt“ verlor. „Wir stellten fest, dass sich die Laute der anderen Nacktmulle des Staates in dieser Zeit der Anarchie viel mehr als sonst voneinander unterschieden, der gemeinsame Dialekt also viel weniger ausgeprägt war“, erzählt Lewin. Das habe sich erst wieder geändert, nachdem sich ein paar Monate später ein anderes, ranghohes Weibchen als neue Königin etabliert hatte. „Menschen und Nacktmulle scheinen sich viel ähnlicher zu sein, als irgendjemand hätte ahnen können“, so Lewin. Er vermutet: „Nacktmulle verfügen über eine Sprachkultur, die sich entwickelt hat, lange bevor es den Menschen überhaupt gab.“

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