Mona Lisa vor der Leinwand – im ersten 3D-Bild der Welt

Messungen zum stereoskopischen Effekt zeigen, dass Leonardo da Vinci sein berühmtes Bild vor einer gemalten Landschaft verfasste
Rechts die Mona Lisa des Pariser Louvres, links die restaurierte, deshalb klarer wirkende Version des Madrider Prado – zusammen bilden sie das vermutlich erste 3D-Bild der Geschichte.
Rechts die Mona Lisa des Pariser Louvres, links die restaurierte, deshalb klarer wirkende Version des Madrider Prado – zusammen bilden sie das vermutlich erste 3D-Bild der Geschichte.
© Carbon & Hesslinger /Perception 2013
Bamberg - Absicht oder Zufall? Die Mona Lisa, Leonardo da Vincis wohl berühmtestes Gemälde, ist nicht nur ein Zwilling – sie bildet mit einer ihrer Kopien sogar ein dreidimensionales Bild: das vermutlich erste 3D-Bild der Geschichte. Bamberger Forscher zeigen mit mathematischen Analysen nicht nur, dass zwei Maler die Bilder wohl zeitgleich auf Holz bannten, mit nur geringem Abstand nebeneinander. Sie weisen jetzt im Forschungsjournal „Leonardo“ auch nach, dass die lächelnde Dame einst vor einer gemalten Landschaft posierte. Ob der stereoskopische Effekt geplant war, lässt sich wohl nicht mehr herausfinden – immerhin aber hatte sich das Multitalent da Vinci seinerzeit auch mit Optik und Malperspektive beschäftigt. Für heutige Kunsthistoriker bedeuten die Ergebnisse: Die hier angewandte Punktberechnung kann technische Durchleuchtung ergänzen, mit deren Hilfe bereits Geheimnisse anderer Gemälde gelüftet wurden.

„Das war 330 Jahre, bevor das erste Stereogramm erfunden wurde“, sagt Claus-Christian Carbon von der Universität Bamberg zu der doppelten Mona Lisa, die jetzt nebeneinander ein dreidimensionales Bild ergeben können. Stereogramme sind solche Bildpaare, die perspektivisch leicht voneinander abweichen – als hätte man sie mit dem linken und rechten Auge einzeln gesehen. Betrachtet man sie gleichzeitig, so verschmilzt das Gehirn die leichte Verschiebung mancher Teile zum dreidimensionalen, räumlichen Eindruck. Die erste Technik dazu, um solche Bildpaare optisch übereinander zu legen, erfand im Jahr 1838 der Brite Charles Wheatstone: das Stereoskop, einen Spiegelapparat. Doch wie sich jetzt zeigt, könnte Leonardo da Vinci den Effekt ebenfalls gekannt haben. Zumindest ist ihm aber – bewusst oder unbewusst – mit der zweifachen Mona Lisa ein 3D-Bild gelungen. Das hatten Carbon, ein Experimentalpsychologe, und seine Kollegin Vera Hesslinger bereits im vorigen Sommer in der Fachzeitschrift „Perception“ angedeutet. Jetzt untermauerten sie die Theorie mit weiteren Analysen.

Dabei war es ein Zufall, der diese Entdeckung erst möglich machte: Lange waren die beiden Bilder gar nicht als Zwillingsgemälde erkannt worden. Denn das berühmte Ölbild „La Gioconda“, das als „die Mona Lisa“ gilt und heute im Pariser Louvre hängt, wurde im Laufe der Jahrhunderte nicht nur bewundert und versucht zu enträtseln, sondern auch oft kopiert. Eine solche spätere, anonyme Kopie hing bereits seit 1666 im Madrider Kunstmuseum Prado. Klar zu erkennen war die Frauenfigur, doch umgeben von einer schwarzen Fläche als Hintergrund. Erst 2012 durchleuchteten Kunsthistoriker die dicken dunklen Schichten per Infrarot und Röntgenstrahlen. Und entdeckten darunter dieselben Landschaftsformationen wie im Hintergrund der Pariser Mona Lisa. Auch fanden sich in beiden Gemälden exakt dieselben Korrekturen und Veränderungen, sodass beide Versionen zeitgleich im selben Atelier entstanden sein dürften – vermutlich parallel von Leonardo selbst und einem seiner Schüler gemalt, ein Kopieren des Meisters war zur damaligen Zeit üblich.

„Die typischen Punkte des Gesichtes stimmen zu 99,8 Prozent überein – allerdings gibt es einen kleinen, systematischen Unterschied“, schreiben Carbon und Hesslinger. Das Louvre- und das Prado-Gemälde sind so gemalt, dass manche ihrer Details seitlich verschoben sind, passend zu einem Blickwinkel-Unterschied von 6,9 Zentimetern – was recht genau dem durchschnittlichen Augenabstand italienischer Männer von 6,4 Zentimetern entspricht. Die Forscher hatten dafür schon im Vorjahr diverse klare Bildpunkte vermessen, etwa Mona Lisas Nasenspitze, und dann mithilfe sogenannter Bidimensionaler Regressionsanalyse berechnet, die sonst zum Beispiel Geographen für Landkarten nutzen. Das Ergebnis lässt vermuten, so das Team, „dass die beiden Gemälde zusammen das erste stereoskopische Bild der Weltgeschichte darstellen“.

Jetzt analysierten die Forscher die Unterschiede im Vorder- und Hintergrund genauer, ließen Positionen des Malers und seines Motivs schätzen und stellten die Atelier-Situation schließlich mit Spielfiguren nach: Da Vinci stand vermutlich etwas weiter rechts und hinten als sein Schüler, so Carbon: „ Sie standen nicht Seite an Seite. Das hätte die Perspektive dramatisch verändert, weil ein Körper rund 60 Zentimeter breit ist.“ Bis auf einige verschwommene Stellen ergeben beide Gemälde zusammen eine Mona Lisa in 3D, die vor ihrem Hintergrund optisch hervortritt. Ob der Maler und Tüftler selbst bereits die Stereoskopie verstanden hatte, bleibt aber unklar. Bekannt ist, dass er sich mit Perspektive und besonderen Maltechniken beschäftigt, um die dreidimensionale Wirklichkeit auf die zweidimensionale Leinwand zu bannen. Da Vinci hinterließ Notizen über ein- und beidäugige Sicht und beschäftigte sich mit optischen Details, darunter der Lichtreflexion, farbigen Lichtquellen und der Anatomie von Augen.

Die Forscher klärten jetzt außerdem die lang diskutierte Frage, ob die lächelnde Italienerin dereinst vor einer echten Landschaft Modell gesessen hatte – oder nur vor gemalten Hügeln aus da Vincis Fantasie. Es war offenbar ein Leinwand-Panorama, so das Fazit. Denn zunächst war auffällig, dass die Hintergrund-Details nicht nur leicht gegeneinander verschoben waren, sie waren auf dem Prado-Bildnis auch durchgehend zehn Prozent größer als auf dem Louvre-Bildnis. Die Frauenfiguren selbst sind aber in etwa gleich groß. Vermutlich also malten die Künstler ihre Hintergründe direkt, im unterschiedlichen Abstand zum Vorbild, schreiben die Forscher. Doch die Umrisse der Mona Lisa hingegen brachten sie beide mit einer Schablone auf, bevor sie die Details der Figur ausmalten: „Die Perspektivverschiebung der Landschaft passt nicht zur Tiefeninformation in der echten Welt“, so Carbon und Hesslinger. Alles deute darauf hin, „dass der hügelige Hintergrund der Bilder auf eine flache Leinwand gemalt war und hinter dem Modell hing – wie in einem modernen Porträtstudio.“

Unklar bleibt, ob die Landschaft auf der Leinwand nun wiederum echte Hügel darstellt – bisher hat niemand die Steinformationen in Italien entdeck, auch wenn ähnliche Landstriche in der Toskana und Lombardei nicht selten sind. Auf jeden Fall aber zeigen Carbon und Hesslinger, dass nicht nur Infrarot- und Röntgentechniker zum hilfreichen Werkzeug für Kunstforscher taugen. Auch mathematische und statistische Analysetechniken helfen weiter, wenn zur Entstehung eines Bildes die Geschichte fehlt.

Hintergrund StereoskopieDer 3D-Effekt ist auch ohne Hilfsmittel zu erreichen, wenn man die stereoskopischen Bilder exakt nebeneinander vor die Augen hält, in die Ferne starrt und langsam den richtigen Abstand sucht. Einfacher ist es mit einem Stereoskop, das die beiden Bilder per Spiegelsystem übereinander legt. Auch eine „Rot-Grün-3D-Brille“ hilft, wenn beide Bilder unterschiedlich eingefärbt werden – das sichtbare Bild erscheint dann schwarzweiß. Ausgeklügeltere 3D-Techniken arbeiten mit Polarisationsfiltern oder Prismenschichten.

© Wissenschaft aktuell
Quelle: „On the nature of the background behind Mona Lisa“, Claus-Christian Carbon, Vera M Hesslinger; Leonardo MIT Journal, im Druck
„Da Vinci’s Mona Lisa entering the next dimension“, Claus-Christian Carbon, Vera M Hesslinger; Perception, 2013; DOI: 10.1068/p7524


 

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