Mit dem Brummen der Erde in die Tiefe schauen

Für den Menschen unhörbarer Infraschall eröffnet detaillierten Blick in den Erdmantel - Erdbrummen könnte auch Sturmforschung nutzen
Messstationen fangen seismische Wellen aus dem Erdinneren auf und ermöglichen so eine Analyse der Erdstruktur
Messstationen fangen seismische Wellen aus dem Erdinneren auf und ermöglichen so eine Analyse der Erdstruktur
© Science/AAAS P.Poli U Grenoble
Grenoble (Frankreich) - Die Erde brummt. Ununterbrochen erzeugen Wellenschlag an den Küsten, Wind, Regen und Prozesse in der Atmosphäre tieffrequente Infraschallwellen, die quer durch den Erdkörper wandern. Dieses für den Menschen nicht hörbare Erdbrummen nutzten nun französische Geoforscher erstmals, um Strukturen tief im Erdmantel zu analysieren. Mit ihrem Experiment in Finnland belegten sie, dass die extrem schwachen Schwingungen in der Erde für eine neue seismische Messmethode taugt, die prinzipiell immer und überall auf unserem Planeten anwendbar ist. Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler im Fachblatt „Science“.

„Die tiefsten Bohrlöcher reichen nur etwa zwölf Kilometer tief. So brauchen wir spezielle Sensoren und bildgebende Verfahren, um über den Erdradius von 6371 Kilometern die innere Struktur der Erde zu analysieren“, sagt Piero Poli vom Institut des Sciences de la Terre an der Universität Grenoble. Bisher lieferten starke Erdbeben die nötigen seismischen Wellen, die - in der Tiefe gebrochen und reflektiert - von Sensoren an der Oberfläche aufgefangen werden konnten. Auch die Ära der Atombombentests im vergangenen Jahrhundert bot starke Erschütterungen, die eine Tiefenanalyse ermöglichten. Heute könnte das permanente Erdbrummen einfacher und zuverlässiger die Basis für eine Analyse tiefer Erdschichten legen.

Mit einem Netzwerk aus sogenannten Geophonen, die schwache Schwingungen des Erdkörpers aufzeichnen können, erreichten Poli und Kollegen dieses Ziel. In Finnland werteten sie Messdaten von insgesamt 42 Stationen aus, die das Erdbrummen registriert hatten. Obwohl die Signale der Infraschallwellen sehr schwach waren, konnten sie über eine geschickte Korrelation der Daten verschiedener Messstationen den Übergang vom oberen zum unteren Erdmantel genau lokalisieren. Denn die seismischen Wellen wurden an den Grenzen dieses Übergangs in 410 und 660 Kilometer Tiefe abgelenkt - ähnlich wie ein Lichtstrahl, der an der Grenzschicht zwischen Luft und einer Wasserfläche gebrochen wird. Genau diese Störungen in der Wellenausbreitung prägten sich in das Erdbrummen ein und ließen sich von Poli und Kollegen in den Messdaten identifizieren.

Die genaue Lage dieses Übergangs im Erdmantel war natürlich auf der Basis früherer Messungen lange bekannt. Doch noch nie zuvor konnten sie mit den schwachen Infraschall-Signalen des Erdbrummens bestimmt werden. „Diese Ergebnisse sind ein großer Fortschritt in der Tomografie mit seismischem Rauschen“, beurteilt German A. Prieto von der Universidad de los Andes in Bogotá die Studie in einem begleitendem Kommentar. Mit einer verbesserten Signalverarbeitung der Daten eines dichten Sensornetzwerks könnten auch detailliertere Informationen aus der Übergangszone des Erdmantels gewonnen werden. Prieto hält es gar für möglich, mit dieser Methode noch tiefer in die Erde bis zur Kern-Mantel-Grenze vorzudringen. In Zukunft könnten Geowissenschaftler mit Hilfe des Erdbrummens völlig unabhängig von schweren Erdbeben die innere Struktur unseres Planetens erforschen.

Komplett neu ist die Idee, seismisches Rauschen für die Analyse der Erdstruktur zu nutzen, allerdings nicht. Doch beschränkte sie sich bisher meistens auf die feste, obere Erdkruste. Schon vor gut zwei Jahren machten Geowissenschaftler von der University of California in San Diego die wichtigsten Quellen für das Erdbrummen in einem Frequenzbereich zwischen einem Hundertstel und zehn Hertz aus. Wie sie in der Fachzeitschrift „Geophysical Research Letters“ berichteten, hätte das Brummen vor allem an der Pazifikküste von Nordamerika seinen Ursprung. Die zweitstärkste Quelle entdeckten Peter D. Bromirski und Kollegen an den Westküsten Europas. Hier trifft der langperiodische Schwell des Atlantiks auf festes Erdmaterial. Die etwas schwächere Ausprägung dieses Phänomens könnte mit der geringeren Ost-West-Ausdehnung des Atlantiks im Vergleich zum Pazifik erklärt werden.

In Zukunft könnte das seismische Rauschen nicht nur Informationen aus dem Erdinnern liefern. Mit einem immer feiner werdenden Netzwerk aus hochempfindlichen Seismometern und über Satelliten-Beobachtungen der Meereswellen könnte - laut einem Vorschlag von Sharon Kedar und Frank H. Webb vom Jet Propulsion Laboratory im kalifornischen Pasadena - das Brummen auch für die Lokalisierung von Stürmen auf ihrer Wanderung über die Ozeane genutzt werden. Selbst die Bedingungen für El Nino-Strömungen im Pazifik sollen sich über das aufgefangene Brummen analysieren lassen.

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