Mit Antimaterie-Strahlen auf der Suche nach neuer Physik

Erstmals gelang Forschern am Genfer CERN die Herstellung eines Strahl aus Antiwasserstoff-Atomen, um den Naturgesetzen auf den Grund zu gehen
Die Magnetfalle mit mehrfachen Ringelektroden - links im Zylinder werden Antiwasserstoff-Atome zunächst synthetisiert und dann rechts mit Hilfe der Feldionisationstechnologie untersucht.
Die Magnetfalle mit mehrfachen Ringelektroden - links im Zylinder werden Antiwasserstoff-Atome zunächst synthetisiert und dann rechts mit Hilfe der Feldionisationstechnologie untersucht.
© N. Kuroda
Genf (Schweiz) - Aus Science-Fiction-Filmen und Computerspielen sind Laserkanonen, Protonentorpedos und viele andere furchterregende Waffen bekannt. Sehr populär in Weltraumszenarien sind auch Strahlen aus Antimaterie. Denn wenn sie auf normale Materie treffen, zerstrahlen sie mit dieser sofort zu großen Mengen reiner Energie. Derzeit befinden sich solche exotischen Strahlen aber noch im Stadium der reinen Grundlagenforschung.

Auch am Genfer CERN geht es um das grundlegende Verständnis der Antimaterie. Wie eine Forschergruppe nun im Fachblatt „Nature Communications“ berichtet, ist es ihnen gelungen, erstmals einen Strahl aus Anti-Atomen zu erzeugen. Diese Strahlen bergen aber keine Zerstörungskräfte. Die Handhabung der flüchtigen Antimaterie ist so delikat, dass die Wissenschaftler sich bereits über einige wenige Anti-Atome freuen, die es bis ins finale Messgerät schaffen. „An diesem Strahl wollen wir hochpräzise Untersuchungen durchführen, um mehr über die Eigenschaften der Anti-Atome zu erfahren“, sagt Naofumi Kuroda von der Universität Tokio, Erstautor der Studie. Damit wollen die Forscher herausfinden, ob sich Antimaterie wirklich spiegelsymmetrisch zu normaler Materie verhält, aus der wir und alle anderen Objekte im Universum bestehen.

Nach der heutigen Physik ist Antimaterie nichts anderes als ein Spiegelbild gewöhnlicher Materie. Zu jedem Teilchen normaler Materie gibt es genau ein Antiteilchen, das exakt dieselbe Masse und die umgekehrte Ladung hat. Das einfachste Atom, Wasserstoff, besteht aus einem positiv geladenen Proton, um das ein negativ geladenes Elektron kreist. Das Antiteilchen des Protons ist das Antiproton, das des Elektrons heißt Positron. Antiwasserstoff besteht also aus einem negativ geladenen Antiproton, um das ein positiv geladenes Positron kreist. Wenn man die Eigenschaften des Antiwasserstoffs – etwa seine Energie – erforscht und mit Wasserstoff vergleicht, lässt sich sehr genau bestimmen, ob Materie und Antimaterie sich vielleicht doch in Nuancen unterscheiden. Wasserstoff eignet sich besonders gut für solche Experimente, denn es ist das einfachste Atom und mit unübertroffener Präzision untersucht. Es ließe sich hervorragend mit Antiwasserstoff vergleichen.

Das Problem mit der Antimaterie liegt hierin: Einerseits sagen die heutigen Theorien voraus, dass sie sich perfekt spiegelbildlich zu normaler Materie verhalten sollte. Andererseits muss es gewisse Unterschiede zwischen beiden Materieformen geben. Denn das Universum besteht nur aus Materie und nicht aus Antimaterie. Das heißt, beim Urknall muss eine etwas größere Menge an Materie als Antimaterie entstanden sein. Nachdem kurz darauf sämtliche Antimaterie an der Materie zerstrahlt war, blieb nur noch die Materie übrig, aus der wir bestehen. Eine der ungelösten Fragen in der Physik ist deshalb: Warum ist mehr Materie als Antimaterie entstanden?

Ein anderes Problem beruht auf der sogenannten Dunklen Materie. Astrophysiker haben herausgefunden, dass ein großer Teil der Masse im Universum aus völlig unbekannten Materie- und Energieformen besteht – anders ließe sich zum Beispiel die beschleunigte Ausdehnung des Alls nicht erklären. In der gängigen Theorie ist aber kein Platz für sie. Mit der Entdeckung ihres letzten noch ausstehenden Teilchens, des Higgs-Bosons, hat die Standardtheorie im Jahr 2012 ihren glänzenden Abschluss gefunden. Aber sie kann nicht alles erklären, wie zum Beispiel die Gravitation. Die Theoretiker haben deshalb mittlerweile eine ganze Reihe anderer Theorien in der Schublade, die über dieses Standardmodell hinausgehen. Und in vielen dieser Theorien sollte doch ein minimaler Unterschied zwischen Materie und Antimaterie zu finden sein. Von Präzisionsmessungen an Antimaterie erhoffen sich die Teilchenforscher deshalb Hinweise auf ganz neue Physik.

Leider ist Antimaterie schwierig herzustellen und außerdem recht kurzlebig. Denn auch wenn sie prinzipiell genauso stabil ist wie normale Materie: Nirgends überlebt eine größere Menge von Antimaterie über längere Zeit. Die Wissenschaftler müssen Teilchen aus Antimaterie zunächst in einem Teilchenbeschleuniger erzeugen und dann mit Hilfe von elektromagnetischen Feldern geschickt einsperren, so dass die Antimaterie nicht mit normaler Materie in Kontakt gerät. Dazu benötigen sie ein extrem reines Vakuum – denn auch gewöhnliche Gasatome vernichten sich gegenseitig mit Antimaterie. Ein perfektes Vakuum gibt es aber nicht, so dass kontinuierlich Atome aus Antimaterie auf Gasatome in der Apparatur stoßen und sich in winzige Strahlungsblitze verwandeln.

Zur Herstellung von Antiwasserstoff nutzen die Forscher Antiprotonen, wie sie ein Vorbeschleuniger des großen Speicherrings LHC am CERN liefern kann, sowie Positronen, die sich aus radioaktiven Proben gewinnen lassen. Antiprotonen und Positronen bringen sie dann auf niedrige Geschwindigkeiten und sperren sie gemeinsam in eine Magnetfalle, wo beide zu Antiwasserstoff reagieren. Bislang konnten Wissenschaftler zwar schon Antiwasserstoff-Atome in einer magnetischen Falle für eine gewisse Zeit einsperren. Die dafür notwendigen, starken elektromagnetischen Felder beeinträchtigten jedoch die spektroskopischen Messungen, die die Forscher mit außerordentlicher Präzision vornehmen wollen.

Deshalb verfolgen die CERN-Forscher am Asacusa-Experiment, das die beteiligten japanischen Wissenschaftler nach einem berühmten Tempel in Tokio benannt haben, einen anderen Weg: Sie bündeln mit einer komplexen Abfolge von Magneten und Elektroden die Antiwasserstoff-Atome zu einem Strahl, an dem sie dann fern der störenden Magnetfelder hochpräzise Messungen durchführen wollen. Mit ihrem Apparat können die Forscher mittlerweile einen Strahl erzeugen, der 2,7 Meter weit reicht und aus rund zwei Dutzend Antiatomen pro Stunde besteht. Science-Fiction-Fans werden vielleicht enttäuscht sein – für die Antimaterieforschung öffnet dies neue Türen.

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