Inspiriert von der Natur: Ultrastabiles Glas

„Einen Werkstoff zäher zu machen, indem man Schwachstellen einbaut, scheint zunächst widersprüchlich“, berichtet Francois Barthelat von der McGill University in Montreal. „Aber in natürlichen Materialien scheint dies eine universelle und mächtige Strategie zu sein.“ So haben Aufnahmen mit Elektronenmikroskopen an Zahnschmelz gezeigt, wie der scheinbar glatte Zähne aus spaghettiförmigen Bändern von hochfesten Kristallfasern bestehen, die untereinander verästelt sind. Dies reduziert die Härte ein wenig, verringert aber die Sprödigkeit deutlich und macht Zähne dadurch sehr viel zäher.
Die Wissenschaftler übertrugen dieses Bauprinzip auf künstliches Material. Dazu beschossen sie Borosilikatgläser, wie sie in Laboren als Behälter gängig sind, mit einem starken Ultraviolett-Laser. Dessen Licht kann durch das Glas dringen; nur genau im Brennpunkt ist es stark genug, um winzige Risse im Glas zu erzeugen. So konnten die Forscher unterschiedliche, millimetergroße Strukturen in das Glas einarbeiten. Am Ende stellten sich wellenförmige Verzahnungen als außerordentlich robust heraus, wie sie auch von Perlmutt bekannt sind. Diese Mikrostruktur erwies sich als sehr geeignet, um unter Druck die entstehenden Kräfte abzuleiten und Risse im Material zu blockieren. So ließen sich Spannungsspitzen vermeiden, die zu einem plötzlichen Bruch führen. Die Zähigkeit des Glases erhöhte sich dadurch um mehr als das Hundertfache, die Dehnbarkeit um mehr als das Zwanzigfache.
Um die Festigkeit weiter zu steigern, testeten die Forscher auch verschiedene Klebstoffe, die sie in die Mikrostrukturen einsickern ließen. Als besonders wirksam erwies sich Polyurethan, das die Widerstandskraft nochmals um mehr als das Anderthalbfache erhöhen konnte. Andere Klebstoffe erwiesen sich jedoch als weniger geeignet: Wie die Forscher feststellten, müssen Glas und Kleber in ihren Eigenschaften gut zueinander passen. Polymethylsiloxan etwa erwies sich als zu schwach, um nennenswerten Einfluss auf die Festigkeit zu haben. Der Klebstoff Cyanoacrylat – von Kriminaltechnikern genutzt, um Fingerabdrücke sichtbar zu machen – war hingegen zu stark und zu spröde: Er führte dazu, dass die Risse sich nicht mehr entlang der eingravierten Muster ausbreiteten, wodurch das Ergebnis sich sogar verschlechterte. Für die Zukunft erwarten die Forscher, mit noch kleineren Strukturen die Festigkeit weiter erhöhen zu können. Auch hier bleibt die Natur das Vorbild.