Immunzellen erinnern sich auch an unbekannte Erreger

Gedächtniszellen unseres Immunsystems reagieren nicht – wie bisher gedacht – allein auf den Erregertyp, der ihre Entstehung ausgelöst hat
Menschlicher Lymphozyt im Elektronenmikroskop (gefärbt)
Menschlicher Lymphozyt im Elektronenmikroskop (gefärbt)
© U.S. National Cancer Institute (gemeinfrei)
Stanford (USA) - Eine überstandene Infektion macht oft immun gegen einen erneuten Kontakt mit demselben Erreger. Das beruht auf langlebigen Gedächtniszellen, die beim Erstkontakt mit dem Erreger entstanden sind. Diese spezialisierten Zellen des Immunsystems – sogenannte T-Zellen – lösen besonders schnelle und effektive Abwehrreaktionen aus. Jetzt haben amerikanische Forscher eine überraschende Entdeckung gemacht: Erwachsene Menschen verfügen auch über Gedächtniszellen, die auf Krankheitserreger reagieren, mit denen sie bisher noch nie Kontakt hatten. Eine Erklärung dafür könnte die unterschätzte Fähigkeit dieser T-Zellen zur Kreuzreaktion sein. Denn die Gedächtniszellen konnten nicht nur von einem, sondern auch von mehreren anderen Erregertypen aktiviert werden, schreiben die Wissenschaftler im Fachblatt „Immunity“. Diese Eigenschaft des Immunsystems stärkt die Abwehrkraft gegen Infektionen und ließe sich zur Entwicklung von Impfstoffen nutzen, die ein breiteres Wirkungsspektrum haben als die derzeit vorhandenen.

„Unser Immunsystem erinnert sich an gefährliche Krankheitserreger, die es nie zuvor gesehen hat. Ursache dafür könnte sein, dass wir ständig meist harmlosen Umweltkeimen ausgesetzt sind – Mikroben auf Lebensmitteln, im Boden, auf Haut, Türklinken und Telefonen“, sagt Mark Davis von der Stanford University. Die Ergebnisse seines Forscherteams könnten erklären, so Davis, warum es von Vorteil ist, wenn Kinder Dreck essen: Der Kontakt mit harmlosen Keimen regt ihr Immunsystem dazu an, T-Gedächtniszellen zu erzeugen, die aufgrund von Kreuzreaktionen auch zur Abwehr gefährlicher Viren oder Bakterien fähig sind.

Die Forscher untersuchten die Eigenschaften von T-Zellen des Typs CD4+ im Blut von 26 gesunden Erwachsenen im Alter zwischen 28 und 80 Jahren, sowie im Nabelschnurblut von zwei Neugeborenen. Insbesondere prüften sie, ob die Immunzellen auf drei Virusarten reagierten: das AIDS-Virus HIV, das Herpes-Simplex-Virus HSV und das Cytomegalievirus CMV. In fast allen Blutproben der Erwachsenen ließen sich T-Zellen nachweisen, die Strukturen der Viren erkannten. Etwa die Hälfte davon hatten Eigenschaften von Gedächtniszellen: Innerhalb weniger Stunden setzten sie bei Erregerkontakt Botenstoffe frei, die andere Immunzellen aktivieren. Normale T-Zellen brauchen dazu Tage oder Wochen. Eine frühere Infektion der Probanden mit einem der Viren konnten die Forscher ausschließen. Im Nabelschnurblut fanden sich dagegen keine Gedächtniszellen. „Das könnte zumindest teilweise erklären, warum Kleinkinder so überaus anfällig für Infektionen sind“, sagt Erstautorin Laura Su. In jeder fünften Blutprobe der Erwachsenen wiesen die Forscher T-Zellen nach, die sowohl durch eines der drei Viren aktiviert wurden als auch durch andere Mikroben wie beispielsweise Darmkeime und Bodenbakterien.

Zur Bestätigung ihrer Ergebnisse impften die Wissenschaftler zwei Testpersonen mit einem normalen Grippeimpfstoff. Wie bei einer Infektion wird dadurch das Immunsystem angeregt, Gedächtniszellen gegen den Erreger – in diesem Fall das Influenzavirus – zu erzeugen. Tatsächlich reagierten auch diese Gedächtniszellen nicht nur auf Grippeviren, sondern ließen sich auch durch verschiedene Bakterien und Protozoen aktivieren. Aufgrund ihrer Resultate halten es die Autoren für möglich, gezielt neuartige Breitspektrum-Impfstoffe zu entwickeln, die gleichzeitig gegen ganz unterschiedliche Infektionserreger wirksam wären.

© Wissenschaft aktuell


 

Home | Über uns | Kontakt | AGB | Impressum | Datenschutzerklärung
© Wissenschaft aktuell & Scientec Internet Applications + Media GmbH, Hamburg