Gelähmte kontrollieren Roboterarme per Gedankenkraft

Hirn-Computer-Schnittstelle ermöglicht komplexe Steuerung im dreidimensionalen Raum
Der winzige Chip dient als Schnittstelle zwischen Hirn und Computer
Der winzige Chip dient als Schnittstelle zwischen Hirn und Computer
© www.braingate2.org
Boston (USA) - Die Verschmelzung von Mensch und Maschine – diese Vision ist der Realität einen großen Schritt näher gerückt: Zwei seit Jahren vollständig gelähmte Schlaganfallpatienten konnten Roboterarme allein mittels ihrer Gedankenkraft bewegen und komplexe Bewegungsabläufe mit dem Gerät vollziehen. Eine Patientin griff so sogar einen Becher Kaffee, trank durch einen Strohhalm und stellte den Becher wieder zurück. Zum ersten Mal seit rund 15 Jahren konnte sie die schlichte Handlung ohne fremde Hilfe ausführen. Über diesen Erfolg berichtet ein Team internationaler Forscher im Fachblatt „Nature“. Möglich machte ihn ein winziger, ins Hirn implantierter Sensor-Chip, der als Schnittstelle zwischen Hirn und Computer fungiert. Mit ihrer Studie liefern die Forscher erstmals eine Demonstration dafür, dass Patienten, die an allen vier Gliedmaßen gelähmt sind, mithilfe ihrer Hirnsignale einen Roboterarm in drei Dimensionen steuern können. Bis zu einer Anwendung in der klinischen Praxis werden allerdings noch Jahre vergehen.

„Wir kommen dem näher, Patienten mit gelähmten Gliedmaßen ein bestimmtes Maß an Alltagsfunktionen zurückzugeben“, erläutert John Donoghue vom Institute for Brain Science an der Brown University in Providence. „Dies ist ein weiterer großer Sprung vorwärts, um die Bewegungen eines Roboterarm im dreidimensionalen Raum zu kontrollieren.“ In der Pilotstudie „BrainGate2“ arbeiteten die Forscher mit zwei Schlaganfallpatienten. Sowohl die 58-jährige Frau als auch der 66-jährige Mann waren seit mehreren Jahren an allen vier Gliedmaßen gelähmt. Die Patienten sollten mit zwei unterschiedlichen Roboterarmen Gegenstände erreichen und nach ihnen greifen: Das „DEKA Arm System (Generation 2)“ soll einst als steuerbare Prothese Einsatz finden. Der „Light-Weight Robot III“ hingegen, entwickelt vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), ist schwerer und als externes Gerät gedacht.

Zentrales Element ist der nicht einmal fingernagelgroße Sensor-Chip, implantiert in den motorischen Kortex des Gehirns. Dieser zeichnet die Signale aus den Nervenzellimpulsen auf und leitet sie an einen Computer weiter, der die Daten wiederum in digitale Befehle umwandelt, mit welchen schließlich der Roboterarm gesteuert wird. Ein spezielles Training ist nicht notwendig. Allein die Vorstellung, den eigenen Arm zu bewegen, führt zu der gewünschten Bewegung des Roboterarms – obwohl sich die Patienten seit Jahren nicht selbst bewegt haben. „Ich musste mir nur vorstellen, meinen eigenen Arm zu bewegen und der Arm bewegte sich dorthin, wo ich ihn hinbewegen wollte“, beschreibt der männliche Patient, der sich über den Blick auf einzelne Buchstaben äußern kann. In früheren Studien war es bereits gelungen, einen Computercursor per Gedankenkraft über einen Bildschirm zu steuern. Aber zwischen einer zweidimensionalen Strecke auf einem Bildschirm und der dreidimensionalen Bewegung eines Roboterarms liegt ein gewaltiger Unterschied.

Auch wie langfristig die Technik offensichtlich Einsatz finden kann, beeindruckt die Forscher. „Wir stellten fest, dass es Jahre nach dem Eintreten der Lähmung immer noch möglich war, Hirnsignale aufzuzeichnen, die multidimensionale Informationen über Bewegungen enthalten und dass diese Signale genutzt werden konnten, um ein externes Gerät zu bewegen“, sagt Leigh R. Hochberg von der Brown University und vom Massachusetts General Hospital in Boston. Bei der Patientin war der Sensor-Chip bereits seit fünf Jahren implantiert und funktionierte immer noch einwandfrei. „Das Lächeln auf ihrem Gesicht war einfach bemerkenswert anzusehen“, erzählt Hochberg. „Alle Beteiligten waren bestärkt, dass die Forschung den Fortschritt machte, den wir alle erhofft hatten.“

Noch ist allerdings ein immenser Aufwand nötig: So sind die Patienten bislang noch über Kabel mit dem System verbunden und ein Techniker muss alles vor jeder Sitzung eine halbe Stunde lang kalibrieren. In Zukunft wollen die Forscher die Technologie mit mehr Probanden testen. Sie stellen sich ein System vor, das über Jahrzehnte stabil ist, kabellos und komplett automatisiert. Ultimatives Ziel, um Gelähmten zu helfen, wäre es allerdings, gar keine Roboterarme zu benötigen, sondern das Gehirn direkt mit den gelähmten Gliedmaßen zu verbinden.

© Wissenschaft aktuell
Quelle: „Reach and grasp by people with tetraplegia using a neurally controlled robotic arm”, Leigh R. Hochberg, John P. Donoghue et al.; Nature, DOI:10.1038/nature11076


 

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