Evolution im Labor: Größeres Hirn – kleinerer Darm

Forscher untersuchen an Fischen Vor- und Nachteile eines großen Gehirns – schnelleres Lernen, kürzeres Verdauungsorgan und weniger Nachkommen
Guppys (Poecilia reticulata), oben das kleinere Männchen, unten zwei Weibchen
Guppys (Poecilia reticulata), oben das kleinere Männchen, unten zwei Weibchen
© Per Harald Olsen / Creative Commons (CC BY 3.0), http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/deed.de
Uppsala (Schweden) - Ein besonders großes Gehirn hat seinen Preis: Die damit verbundene verbesserte Hirnleistung kostet viel Energie, die anderen Organen des Körpers dann fehlt. Die Bedeutung dieses Zusammenhangs für das Wachstum des Gehirns im Lauf der Evolution konnten schwedische Biologen jetzt erstmals experimentell nachweisen. Durch künstliche Selektion erzeugten sie Fische mit größerem Gehirn. Diese zeigten zwar eine bessere Lernleistung als solche mit deutlich kleinerem Hirn. Andererseits aber entwickelten sie einen verkürzten Darm und zeugten weniger Nachkommen, berichten die Forscher im Fachblatt „Current Biology”. Ein starkes Hirnwachstum war ein wesentliches Merkmal der menschlichen Evolution. Die gleichzeitig erhöhte Kalorienzufuhr durch vermehrten Fleischkonsum hat bewirkt, dass der Nutzen für die Vormenschen insgesamt größer war als die negativen Folgen.

„In energetischer Hinsicht ist das menschliche Gehirn ein außerordentlich kostspieliges Organ. Es macht nur zwei Prozent der Körpermasse aus, verbraucht aber 20 Prozent der Energie”, sagt Niclas Kolm von der Uppsala University. Einer gängigen Hypothese zufolge ist daher ganz allgemein die relative Größe des Gehirns im Vergleich zur Körpermasse das Ergebnis eines Kompromisses zwischen energetischen Kosten und dem Nutzen einer verbesserten Hirnleistung. Kolm und sein Forscherteam überprüften diesen Zusammenhang bei lebendgebärenden Süßwasserfischen, den Guppys (Poecilia reticulata). Unter den Nachkommen der Ausgangsgeneration wählten sie zum einen diejenigen mit den kleinsten und zum anderen die mit den größten Gehirnen für die weitere Vermehrung aus.

Erstaunlicherweise entstanden so bereits in der zweiten Generation Weibchen, bei denen sich die relativen Hirngrößen um 8 bis 9 Prozent unterschieden. Bei den Männchen betrug der Unterschied nur 5 bis 8 Prozent. Die Weibchen mit großem Gehirn schnitten bei Lerntests besser ab als Weibchen mit kleinem Gehirn. Bei den Männchen ließen sich solche Unterschiede nicht feststellen. Fische mit großem Gehirn hatten einen kleineren Darm und 19 Prozent weniger Nachkommen als die mit geringer Hirnmasse. Der verstärkte Energiebedarf eines großen Gehirns wurde offenbar durch Energieeinsparung bei Verdauung und Fortpflanzung kompensiert.

Dass sich ein größeres Gehirn nur bei den weiblichen Fischen auf die Lernfähigkeit auswirkte, erklären die Forscher mit der unterschiedlichen Lebensweise beider Geschlechter. Unter natürlichen Bedingungen betreiben die Weibchen die Futtersuche energischer und einfallsreicher, so dass ihnen die Lösung der mit Futter belohnten Testaufgaben möglicherweise leichter fiel. Mit einem verkürzten Darm verkleinert sich das vegetative Nervensystem, so dass auch deshalb mehr Nervenzellen im Hirngewebe entstehen können. In einer natürlichen Umwelt mit begrenztem Nahrungsangebot und einer Bedrohung durch Räuber würden zusätzliche Faktoren die Evolution der Hirnentwicklung beeinflussen. Das wollen die Biologen nun in weiteren Experimenten untersuchen.

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