Evolution der Vielmännerei: Drohende Inzucht macht Weibchen polygam

Bricht eine Population von Reismehlkäfern zusammen, wählen Weibchen mehr Sexualpartner und verhindern damit Erbgutschäden ihres Nachwuchses
Kopulierende Rotbraune Reismehlkäfer (Tribolium castaneum)
Kopulierende Rotbraune Reismehlkäfer (Tribolium castaneum)
© Łukasz Michalczyk
Norwich (Großbritannien) - Ein Weibchen erhöht die Zahl ihrer Nachkommen, wenn es sich mit mehr als nur einem Männchen paart. Das gilt aber nur dann, wenn die Populationsgröße sehr klein und damit das Risiko von Inzucht groß ist, berichten britische Biologen im Fachjournal "Science". In Experimenten mit Reismehlkäfern konnten sie erstmals zeigen, wie sich Vielmännerei - die sogenannte weibliche Promiskuität - entwickelt, um die biologische Fitness zu erhöhen. Das für viele Tierarten normale Paarungsverhalten verringert das bei Inzucht erhöhte Risiko von Erbgutschäden des Nachwuchses.

Die Weibchen tragen durch ihr Verhalten dazu bei, eine Befruchtung durch Spermien eng verwandter Männchen zu verhindern, schreiben Matthew Gage von der University of East Anglia in Norwich und seine Kollegen. Die Forscher erzeugten Inzucht-Populationen des Rotbraunen Reismehlkäfers (Tribolium castaneum), indem sie über mehrere Generationen für fortgesetzte Paarungen zwischen Geschwistern sorgten. Dann verglichen sie den Fortpflanzungserfolg von Weibchen, die sich entweder nur mit einem oder aber mit fünf Männchen gepaart hatten. Bei den monogamen Weibchen sank die Zahl der Nachkommen durch die Inzucht auf die Hälfte. Dieser Verlust an biologischer Fitness konnte ausgeglichen werden, wenn sich die weiblichen Käfer mit fünf verschiedenen Paarungspartnern eingelassen hatten. In großen, genetisch stärker gemischten Populationen spielte die Zahl der Sexpartner für die Zahl der Nachkommen keine Rolle. Die männliche Fruchtbarkeit war in Inzuchtpopulationen nicht verringert.

In weiteren Experimenten simulierten die Forscher einen sogenannten genetischen Flaschenhals, der bei starken Schwankungen von Populationsgrößen unter natürlichen Bedingungen auftritt und für Evolutionsprozesse von großer Bedeutung ist: Schrumpft eine Population auf eine kleine Zahl von Individuen, verringert sich die genetische Vielfalt. Dadurch steigt die Gefahr von Inzucht, da nur wenige Paarungspartner zur Auswahl bleiben. Bei den Reismehlkäfern veränderte der genetische Flaschenhals das Paarungsverhalten der Weibchen nach nur 15 Generationen: Die Zahl der Partner, Dauer und Häufigkeit der Kopulation hatten deutlich zugenommen. Die Evolution begünstigt also dieses Verhalten, da es den Fortpflanzungserfolg erhöht.

Wenn Spermien und Eizellen mit ähnlichem Erbgut verschmelzen, besteht eine große Wahrscheinlichkeit für genetische Defekte des Nachwuchses, so dass der Embryo öfter schon vor der Geburt abstirbt. Überlebende Nachkommen sind häufig anfälliger für Krankheiten und weniger fruchtbar. Bei Weibchen, die von mehreren Männchen begattet wurden, sorgt wahrscheinlich ein noch wenig erforschter Mechanismus dafür, dass eher solche Spermien die Eizellen befruchten, deren Erbgut sich vom eigenen stärker unterscheidet.

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Quelle: "Inbreeding promotes female promiscuity", Lukasz Michalczyk et al.; Science, Vol. 333, p. 1739


 

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