Blinddarmoperation senkt Parkinson-Risiko

Der Wurmfortsatz ist ein Reservoir derselben fehlgefalteten Proteine, die auch in Hirnzellen von Parkinson-Patienten auftreten
Ablagerungen von Alpha-Synuclein (rot) in Neuronen des Appendix (Aufnahme durch konfokale Mikroskopie)
Ablagerungen von Alpha-Synuclein (rot) in Neuronen des Appendix (Aufnahme durch konfokale Mikroskopie)
© Viviane Labrie, Van Andel Research Institute
Grand Rapids (USA) - Bei der Parkinson-Krankheit bilden sich in Hirnzellen Ablagerungen fehlgefalteter Moleküle des Proteins Alpha-Synuclein. Große Mengen derselben Molekülformen fanden amerikanische Forscher jetzt in Neuronen des Appendix, des Wurmfortsatzes am Blinddarm – und zwar nicht nur bei erkrankten, sondern auch bei gesunden Menschen aller Altersstufen. Wenn in jungen Jahren der Wurmfortsatz durch eine Blinddarmoperation entfernt worden war, sank das Risiko einer Parkinson-Erkrankung nach mehr als 20 Jahren deutlich, wie die Wissenschaftler im Fachblatt „Science Translational Medicine“ berichten. Sie vermuten, dass Umwelteinflüsse oder andere Faktoren das Eindringen der krankhaften Proteine vom Darm in das Gehirn begünstigen. Das zu verhindern, wäre ein erfolgversprechendes Ziel vorbeugender Behandlungen der nicht heilbaren neurodegenerativen Erkrankung.

„Wir waren überrascht, dass krankhafte Formen von Alpha-Synuclein in den Wurmfortsätzen von Menschen mit und ohne Parkinson so verbreitet sind“, sagt Viviane Labrie vom Van Andel Research Institute in Grand Rapids. Das zeige ganz klar, dass allein das Vorhandensein solcher Proteinablagerungen im Appendix nicht ausreicht, um die Krankheit zu verursachen. Noch unbekannte Faktoren, die einen Abbau der Ablagerungen im Appendix regulieren oder ihre Ausbreitung ins Gehirn verhindern, könnten für die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung entscheidend sein.

In der bisher größten Studie zu diesem Thema nutzten die Forscher ein umfangreiches schwedisches Gesundheitsregister, das medizinische Daten von etwa 1,7 Millionen Menschen erfasste. Mehr als 550.000 dieser Personen hatten sich innerhalb eines Zeitraums von bis zu 52 Jahren einer Blinddarmoperation unterzogen. Diejenigen, denen als Kind oder junger Erwachsener der Wurmfortsatz entfernt worden war, hatten insgesamt ein um 19,3 Prozent geringeres Parkinson-Risiko als die anderen. Für Bewohner ländlicher Regionen erhöhte sich dieser Wert sogar auf 25 Prozent. Das sei nach Ansicht der Autoren ein Hinweis darauf, dass der Kontakt mit in der Landwirtschaft eingesetzten Pestiziden die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung steigern könnte. Je früher im Leben der Appendix entfernt worden war, umso größer war der Schutzeffekt. Wenn bereits erste Symptome der Krankheit erkennbar waren, hatte eine Blinddarmoperation danach keinen Einfluss mehr auf den Krankheitsverlauf.

Die Auswertung weiterer Daten von 849 Parkinson-Patienten bekräftigte die Bedeutung des Wurmfortsatzes für die Entwicklung der Parkinson-Krankheit. Bei den Patienten mit Blinddarmoperation wurde die Erkrankung im Schnitt 3,6 Jahre später diagnostiziert als bei den anderen. In den wenigen Fällen, in denen die Krankheit auf bekannten vererbten Genmerkmalen beruhte, bestand dagegen kein Zusammenhang zwischen der Entfernung des Appendix und dem Krankheitsverlauf. Es sei nicht ausgeschlossen, so die Autoren, dass es neben dem Wurmfortsatz zusätzliche Quellen fehlgebildeter Alpha-Synuclein-Proteine in anderen Teilen des Körpers gibt.

Wie die Forscher vermuten, verfügen gesunde Menschen über Schutzmechanismen, die die Ansammlung fehlgefalteter Alpha-Synuclein-Moleküle im Wurmfortsatz auf diesen Ort beschränken. Im anderen Fall würden sich die veränderten Molekülformen wie bei einer Prionenerkrankung allmählich über den Vagusnerv bis in das Gehirn ausbreiten. Die neuen Erkenntnisse seien sehr wichtig für die Entwicklung neuer Vorsorge- und Behandlungsstrategien, sagt Erstautor Bryan Killinger. Diese könnten darauf abzielen, die Ablagerung der krankhaften Proteine im Appendix oder deren Ausbreitung zu verhindern.

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