Bisexualität in der Tiefsee
"Wir berichten hier erstmals, dass gleichgeschlechtliches Sexualverhalten innerhalb derselben Art bei einem wirbellosen Tier genauso häufig stattfindet wie gegengeschlechtliches", schreiben Hendrik J. T. Hoving vom Monterey Bay Aquarium Research Institute in Moss Landing und seine Kollegen. Die Forscher hatten nicht nur tote Tintenfische der Art Octopoteuthis deletron im Labor untersucht. Im Monterey Submarine Canyon, in Tiefen von 400 bis 800 Metern, hatten sie außerdem mit Hilfe ferngesteuerter U-Boote Aufnahmen von mehr als hundert Exemplaren gemacht und diese analysiert. Bei der Begattung deponieren die Männchen Spermienpakete auf einem Weibchen. Aus diesen sogenannten Spermatophoren gelangt der Samen in kleineren Spermiensäcken verpackt in das Weibchen. Da die leeren Säcke danach aber am Körper der begatteten Tintenfische zurückbleiben, konnten die Biologen sie als Hinweis auf einen Begattungsversuch nutzen - und diese Beweise fanden sie nicht nur bei Weibchen, sondern genauso häufig auch bei Männchen. "Männliche O. deletron sind nicht wählerisch und begatten jeden Artgenossen", schließen Hoving und seine Kollegen aus dieser Beobachtung.
Auf ihren Aufnahmen konnten die Biologen Weibchen anhand einer runzligen Gewebestruktur an der vorderen Bauchseite identifizieren. Doch in den dunklen Gewässern, in denen die Tintenfische leben, ist dieser Unterschied zwischen Männchen und Weibchen kaum zu erkennen. Zwar haben die Tiere hochentwickelte Augen und können sogar ein Leuchten auf ihrer Körperoberfläche erzeugen, dennoch gehen die Forscher davon aus, dass Männchen und Weibchen nicht leicht voneinander zu unterscheiden sind. Offensichtlich sind die Kosten dafür, Spermien an andere Männchen zu vergeuden, geringer als die potenziellen Kosten dafür, eindeutige Geschlechtsunterschiede zu entwickeln. Dieses Verhalten, so die Biologen, ist ein weiteres Beispiel für die Lebensstrategie vieler Kopffüßer: Lebe schnell, stirb jung!