Aufrechter Gang und schwere Geburt: Das weibliche Becken ist kein fauler Kompromiss

Nicht das enge Becken, sondern der im Verlauf der Schwangerschaft steigende Energiebedarf des Fötus bestimmt den Geburtstermin
Weibliches Becken
Weibliches Becken
© Abbildung aus Gray's Anatomy (1858)
Kingston / Cambridge (USA) - Das Gehirn des Menschen wächst nach der Geburt in viel stärkerem Maße als bei den Menschenaffen. Das erklärte man bisher mit einer relativ frühen Geburt, die nötig ist, damit der Kopf des Fötus noch durch die enge Beckenöffnung passt. Jetzt widersprechen amerikanische Forscher dieser Vorstellung, nach der die Breite des weiblichen Beckens eine Kompromisslösung der Evolution darstellt, die eine frühe Geburt ermöglicht, ohne den aufrechten Gang der Frau zu erschweren. Neue vergleichende Untersuchungen zwischen Mensch und Affe sowie Messungen der Energiebilanzen während der Schwangerschaft zeigen: Die natürliche Geburt wird dann eingeleitet, wenn der Stoffwechsel des mütterlichen Körpers nicht mehr in der Lage ist, den Energiebedarf des Fötus zu decken, schreiben die Wissenschaftler im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)“. Die für den zweibeinigen Gang wichtige Veränderung des Beckenknochens hatte demnach keinen großen Einfluss auf die Dauer der Schwangerschaft.

„All die faszinierenden Phänomene der menschlichen Evolution – zweibeinige Fortbewegung, schwierige Geburt, breite weibliche Hüften, große Gehirne, relativ hilflose Babys – verbindet man traditionellerweise durch das ‚Geburtsdilemma’“, sagt Holly Dunsworth von der University of Rhode Island in Kingston, ein Mitglied des Forscherteams. Nach dieser Hypothese hatte das schmaler werdende Becken einerseits das aufrechte Gehen ermöglicht, aber andererseits den Geburtskanal der Frau so verengt, dass der große Kopf des Kindes eine verkürzte Schwangerschaft nötig machte. Aber auch bei Berücksichtigung der Körpergröße ist die Dauer der menschlichen Schwangerschaft die zweitlängste, verglichen mit den verschiedenen Menschenaffen. Andererseits übertreffen die absoluten als auch relativen Größen von Gehirn und Körper eines neugeborenen Menschen die Werte für Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans deutlich.

Was begrenzt nun das Wachstum des menschlichen Fötus im Mutterleib und bewirkt die Geburt? Nicht die Breite des Beckenkanals, sagen die Forscher, denn sonst müsste ein breiteres Becken die Gehfähigkeit verschlechtern. Das lasse sich jedoch nicht nachweisen. Dagegen dürfte ein ganz anderer begrenzender Faktor eine entscheidende Rolle spielen: Mit fortschreitender Schwangerschaft fällt es dem weiblichen Organismus immer schwerer, sich selbst und den Fötus noch ausreichend mit Nährstoffen und Energie zu versorgen. Tatsächlich zeigen Messungen, dass der Kalorienverbrauch der Schwangeren in den ersten beiden Trimestern der Schwangerschaft stetig ansteigt, dann aber ein Plateau erreicht. Der Energiebedarf des Fötus wächst exponentiell, bis der Stoffwechsel der Frau den Anforderungen nicht mehr genügen kann und nach neun Monaten die Geburt einleitet. Zwar könne es noch weitere Faktoren geben, die diesen Zeitpunkt beeinflussen, schreiben die Forscher. Aber die verzerrte Vorstellung des männlichen Beckens als der Idealform und des weiblichen Beckens als einer weniger perfekten Kompromisslösung sei sicherlich falsch. „Die Selektion hat dafür gesorgt, dass das Becken sowohl für die Fortbewegung als auch für das Kinderkriegen geeignet blieb“, sagt Dunsworth. „Wenn das nicht so wäre, wären wir ausgestorben.“

Die Größe des Gehirns eines Menschen hat bis zur Geburt erst knapp 30 Prozent der Hirngröße eines Erwachsenen erreicht. Bei Schimpansenbabys liegt dieser Wert bei 40 Prozent. Beim Menschen ist das Gehirn des Neugeborenen 47 Prozent größer als bei Gorillas und das menschliche Baby wiegt doppelt so viel.

© Wissenschaft aktuell


 

Home | Über uns | Kontakt | AGB | Impressum | Datenschutzerklärung
© Wissenschaft aktuell & Scientec Internet Applications + Media GmbH, Hamburg