Antibiotikum mit zweifacher Wirkung

Neue Wirksubstanz durchlöchert Bakterienmembran und blockiert lebensnotwendiges Enzym – Doppelangriff verhindert Entwicklung von Resistenz
Auch multiresistente Formen von Gonokokken (Neisseria gonorrhoeae) können durch Irresistin-16 abgetötet werden.
Auch multiresistente Formen von Gonokokken (Neisseria gonorrhoeae) können durch Irresistin-16 abgetötet werden.
© Illustration von Alissa Eckert / CDC/ Antibiotic Resistance Coordination and Strategy Unit, https://phil.cdc.gov/Details.aspx?pid=23244
Princeton (USA) - Wie ein Giftpfeil, der in den Körper eindringt und dann eine tödliche Substanz abgibt: So lässt sich die Wirkung eines neuartigen Antibiotikums beschreiben. Es durchlöchert die Außenmembran von Bakterien und blockiert im Inneren eine lebensnotwendige Stoffwechselreaktion. Die zweifache Wirkung verhindert, dass die Mikroben Schutzmechanismen entwickeln und resistent werden können, wie amerikanische Molekularbiologen im Fachblatt „Cell“ berichten. Der Wirkstoff ist in der Lage, sowohl grampositive Bakterien wie Staphylokokken und Enterokokken als auch gramnegative Keime wie E. coli und Neisserien abzutöten. Im Tierversuch eliminierte das Antibiotikum auch Erreger, die gegen sämtliche derzeit verfügbaren Antibiotika resistent geworden waren. Klinische Studien gibt es noch nicht.

„Das ist das erste Antibiotikum, das gegen grampositive und gramnegative Bakterien wirkt, ohne dabei Resistenzen zu erzeugen“, sagt Zemer Gitai von der Princeton University. Seine Arbeitsgruppe suchte unter etwa 33.000 chemischen Substanzen nach antibiotisch wirksamen Verbindungen, die gegen Infektionserreger aus beiden großen Bakteriengruppen einsetzbar sind. Als besonders vielversprechend erwies sich ein Wirkstoff, der später, nach chemischer Veränderung, als Irresistin bezeichnet wurde. Denn alle Versuche, dagegen resistente Keime zu erzeugen, schlugen fehl. Erst nach aufwendigen Analysen entdeckten die Forscher, auf welche Weise das ungewöhnliche Antibiotikum seine tödliche Wirkung entfaltet: Ein Teil des Moleküls zerstört die Membranstruktur, ein anderes Teil desselben Moleküls hemmt ein Enzym, das für die Produktion von Folsäure (Folat) notwendig ist. Folsäure ist beispielsweise für die Bildung der Nukleinsäuren DNA und RNA essenziell.

Zwar gibt es bereits Antibiotika, die die Membran von Bakterien angreifen und solche, die deren Folsäurebildung hemmen. Doch auch in Kombination verabreicht, waren diese nicht so effektiv wie Irresistin, was die Forscher mit einer synergistischen Wirkung erklären. Möglicherweise sei es generell vorteilhafter, eine Verbindung mit zwei Wirkmechanismen, anstatt zwei Verbindungen mit jeweils einer Wirkung einzusetzen. Irresistin verhinderte in Laborkulturen das Wachstum von Gonokokken (Neisseria gonorrhoeae), von Acinetobacter baumannii – einem Hospitalkeim, von Enterokokken und multiresistenten Staphylokokken (MRSA).

Die Ausgangssubstanz hatte allerdings den Nachteil, auch menschliche Zellen zu schädigen. Durch chemische Optimierung ist es aber gelungen, eine Irresistin-16 genannte Molekülvariante herzustellen, die gegen Bakterien mehr als hundertfach effektiver war als gegen menschliche Zellen, so dass der Wirkstoff in geringer Dosierung verabreicht werden könnte. Ohne starke Nebenwirkungen auszulösen, setzten die Wissenschaftler Irresistin-16 erfolgreich bei Mäusen ein, die mit hoch resistenten Gonokokken infiziert waren. Das sei ein wichtiger Befund für die weitere Entwicklung dringend benötigter neuer Antibiotika, sagt Gitai. Vielleicht könnten auch andere Wirkstoffe, die in ihrer ursprünglichen Form sowohl Bakterien als auch menschliche Zellen angreifen, chemisch so verändert werden, dass ein therapeutischer Einsatz möglich wird.

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