„Schmutzige Mäuse“ für die medizinische Forschung

Das Leben der Labortiere in äußerst keimarmer Umgebung verhindert die Entwicklung eines normalen Immunsystems und kann so Ergebnisse verfälschen
Das Immunsystem von Labormäusen ist deutlich schlechter entwickelt als das von frei lebenden Tieren.
Das Immunsystem von Labormäusen ist deutlich schlechter entwickelt als das von frei lebenden Tieren.
© Shutterstock, Bild 250743292
Minneapolis (USA) - Labormäuse leben in einer unnatürlich keimarmen Umgebung. Daher wird ihre Immunabwehr nur selten durch Krankheitserreger aktiviert und kann sich nicht so entwickeln wie bei frei lebenden Tieren. Tatsächlich ähnelt das Immunsystem dieser Tiere mehr dem von neugeborenen Menschen als dem von Erwachsenen, berichten jetzt amerikanische Forscher im Fachjournal „Nature“. Setzt man aber in die Käfige zusätzlich Mäuse aus Tierhandlungen, normalisiert sich das Immunsystem nach einigen Wochen. Es bildet dann mehr Gedächtniszellen und lässt sich insgesamt eher mit dem von erwachsenen Menschen vergleichen. Daher würden Ergebnisse medizinischer Forschung, die mit „schmutzigen Mäusen“ überprüft wurden, mit größerer Wahrscheinlichkeit auf den Menschen übertragbar sein als bisher.

„Wir fordern nicht das Ende von Studien mit extrem hygienisch gehaltenen Labormäusen“, schreiben David Masopust von der University of Minnesota in Minneapolis und seine Kollegen. Doch könnten neue Formen medizinischer Behandlungen schneller zu klinischen Therapien weiterentwickelt werden, wenn es zusätzlich Experimente mit „schmutzigen Mäusen“ gäbe. Die Forscher analysierten Gewebe- und Blutproben, um die Zahl und die unterschiedlichen Typen an Immunzellen bei Menschen und Mäusen zu vergleichen. Bei den Labormäusen fanden sich unter anderem deutlich weniger T-Lymphozyten mit der Funktion von Gedächtniszellen. Solche Immunzellen vermehren sich als Reaktion auf eingedrungene Krankheitserreger und ermöglichen eine schnelle Immunantwort bei erneuter Infektion mit demselben Erregertyp. Bei wild lebenden Mäusen und solchen, die in Tierhandlungen gekauft worden waren, entsprachen Menge und Spektrum an Immunzellen viel eher dem Immunsystem erwachsener Menschen.

Schließlich gelang es den Forschern, das Immunsystem von Labormäusen zu normalisieren, indem sie die Labortiere mit Mäusen aus Tierhandlungen in gemeinsamen Käfigen hielten. Zwar waren nach achtwöchigem ständigen Kontakt mit den „schmutzigen Mäusen“ 22 Prozent der Labormäuse gestorben. Doch die übrigen hatten ihr Immunsystem dem der anderen Mäuse – und damit auch dem menschlichen – angepasst. Solche Tiere mit nachträglich normalisierten Immunfunktionen wären für ganz unterschiedliche Sparten der medizinischen Forschung nützlich. Dazu zählen nicht nur die Erforschung des Immunsystems selbst, sondern auch Arbeiten auf anderen Gebieten, bei denen Immunreaktionen eine wichtige Rolle spielen, zum Beispiel Transplantation, Allergien, Impfstoffentwicklung und entzündliche Erkrankungen wie Herz- und Gefäßkrankheiten sowie Krebs. Die durch Experimente mit Mäusen erzielten Ergebnisse wären dann wahrscheinlich eher auch für den Menschen relevant. So haben sich bisher an Mäusen erfolgreich getestete Therapien in klinischen Studien allzu häufig als unwirksam erwiesen.

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