Warum man in einem Buch versinken kann

Fiktive Geschichten setzen erstaunliche Vorstellungsprozesse im Gehirn in Gang, zeigen jetzt amerikanische Forscher - sie haben erstmals sichtbar gemacht, was beim Lesen einer Geschichte im Gehirn passiert
Bitte nicht stören! Diese kleine Lesende befindet sich gerade in einer ganz anderen Welt.
Bitte nicht stören! Diese kleine Lesende befindet sich gerade in einer ganz anderen Welt.
© aboutpixel.de / bruno
St. Louis (USA) - Das Lesen von Erzählungen und Romanen ist wie ein Film, in dem man selbst in den Figuren sitzt. Dies zeigen die Magnetresonanztomografie-Bilder, die amerikanische Forscher von Lesevorgängen erstellt haben. Lesen mag zwar eine vergnügliche Sache sein, so legen die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift "Psychological Science" dar, aber es ist für das Individuum alles andere als eine Berieselung.

"Psychologen und Neurowissenschaftler kommen zunehmend zu der Erkenntnis, dass wir, wenn wir eine Geschichte lesen und sie wirklich verstehen, eine mentale Simulation der Ereignisse schaffen, die in der Geschichte beschrieben werden", erklärt Jeffrey M. Zacks von der Washington University in St. Louis.

Was passionierte Leseratten irgendwie schon immer geahnt haben, konnten Zacks und seine Kollegen jetzt erstmals sichtbar machen. Hierzu ließen sie Versuchspersonen vier kleine Geschichten mit je 1500 Zeichen lesen und beobachteten mittels Magnetresonanztomografie deren Gehirnaktivität. Damit die Beobachtungen möglichst exakt festgehalten werden konnten, wurden die Geschichten den Probanden Wort für Wort auf einem Monitor präsentiert. So wurde sichtbar, dass das räumliche Vorstellungsvermögen aktiviert wird, wenn sich eine Person im Raum bewegt. Für die Motorik zuständige Areale machten sich bemerkbar, wenn eine Person nach etwas griff oder sich selbst bewegte.

Die Forscher arbeiteten sechs Merkmale heraus, auf die einige Gehirnregionen in Form einer erhöhten Aktivität ansprachen: Ursache, Charakter, Ziel, Objekt, Raum und Zeit. Satz für Satz konnten die Forscher auf einer Matrix abtragen, was jeweils im Gehirn nacherlebt wurde. Der Satz "Mrs. Birch trat durch die Eingangstür in die Küche" aktivierte Areale, die für Ursachen und Raumvorstellungen zuständig sind. "Mrs. Birch ging in Raymonds Schlafzimmer" aktivierte Ziel- und Raumvorstellungen, "Sie zog an einer Lichtschalterkordel, die von der Zimmerdecke hing" ließ die für die Motorik an Objekten zuständigen Areale aktiv werden. Im Leseprozess entsteht so Szene für Szene ein neuer Mikrokosmos, in dem der Leser mittendrin ist. So ist es nicht verwunderlich, dass man manchmal beim Lesen alles um sich herum vergisst.

© Wissenschaft-aktuell
Quelle: Nicole K. Speer, Jeffrey M. Zacks et al., Psychological Science, 2009, im Druck


 

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