Warum Frauen weniger über Politik wissen als Männer

Teufelskreis von politischem Bild in den Medien und eigener Machtlosigkeit findet sich rund um den Globus - Interesse in Entwicklungsländern stärker als in Nationen mit mehr Gleichberechtigung
London (Großbritannien) - Trotz Bundeskanzlerin und Indira Gandhi – Politik hat bei den Frauen der Welt wohl ein Imageproblem: Selbst bei freiem Zugang zu Informationen und Gleichberechtigung in der Gesellschaft sind Frauen politisch weniger informiert als Männer. Das bestätigt jetzt eine britische Großstudie, die Politikkenntnisse und den Medienkonsum beider Geschlechter in elf demokratischen Ländern erforscht hatte – von Indien und Kolumbien bis zu Norwegen und den USA. Die vermutlichen Ursachen liefert die Analyse gleich mit, berichten die Medienwissenschaftler in der Veröffentlichung des britischen „Economic and Social Research Council” (ESRC): In allen Ländern seien der Inhalt und der Stil politischer Nachrichtensendungen überwiegend an Männern orientiert. So sind die handelnden Personen meist männlich, von Experten bis zu Moderatoren, ebenso richtet sich die Art vieler Sendungen an Männer. Die Forscher sehen einen Teufelskreis. Schließlich sei bekannt, dass Menschen Vorbilder in den Medien brauchen und dass Interesse an der Politik immer auch damit zu tun hat, ob jemand glaubt, selbst etwas bewirken zu können. Besonders verblüfft waren die Forscher allerdings, dass Frauen in den eher gleichberechtigten Gesellschaften noch weniger politisch informiert waren als die in jenen mit traditionellen Rollenverteilungen.

„Was auch immer die Gründe dafür sind: Es scheint, dass im 21. Jahrhundert weltweit diejenigen, die sich am meisten in Politik und Zeitgeschehen auskennen, ältere Männer in den modernen Industrienationen sind“, erklärt James Curran, Medienforscher an der University of London. Dabei zeigte die Studie: Je mehr Nachrichten eine Bevölkerung im öffentlich-rechtlichen TV statt im privaten TV sieht, desto politisch informierter ist sie. Und das Sehen, Hören und Lesen politischer Nachrichten ist tatsächlich – und das besonders in modernen Demokratien wie Kanada, Großbritannien und Norwegen – eine vorwiegend männliche Beschäftigung. Weshalb das so ist, können die Forscher nur vermuten. Neben der Dominanz der Männer in der Medienpräsentation könnten manche noch immer vorherrschenden sozialen Normen und Erwartungen dazu kommen, ebenso wie die Tatsache, dass Frauen meist weniger Freizeit haben. So folgert Ko-Autor Kaori Hayashi, „dass die Unterschiede im Wissen damit zusammenhängen, in welchem Maß Männer und Frauen den Medien ausgesetzt sind.“

Curran, Hayashi und ihr Team hatten eine große Studie über den generellen Einfluss der Medien auf das politische Wissen und Bewusstsein durchgeführt und waren dabei auch auf die Geschlechter-Differenz gestoßen. Elf Länder mit unterschiedlichen Gesellschaften und Medienlandschaften sollten das globale Spektrum abdecken: Australien, Griechenland, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada, Norwegen, Südkorea und die USA standen für die weiter entwickelten Industriestaaten. Indien und Kolumbien kamen als ärmere und sozial konservativere Länder hinzu. Dabei achteten die Forscher bei der Wahl ihrer Methoden besonders darauf, trotz aller Unterschiede vergleichbare Daten zu erhalten.

Im ersten Schritt werteten sie die politischen Inhalte der beiden stärksten TV-Nachrichtensender, der beiden größten Zeitungen und einer führenden Nachrichten-Website jedes Landes aus. Dazu wählten sie drei verschiedene Kalenderwochen im Frühjahr 2010, in allen Ländern dieselben. Im zweiten Schritt prüfte das Team das Wissen über die Nachrichten der jüngsten Vergangenheit: Zehn Fragen über internationale Ereignisse, Orte oder Personen wurden in allen Ländern gleich gestellt, fünf weitere befassten sich mit nationalen oder regionalen – aber vergleichbaren – Themen. Dazu wurden tausende von Menschen in neun der elf Länder via Internet befragt, um einen verlässlichen und großen Bevölkerungsquerschnitt zu erreichen. Nur in Griechenland griffen die Forscher zu Telefonumfragen und in Kolumbien zu persönlichen Interviews.

Die Forscher waren verblüfft, dass die Wissenslücke etwa in Norwegen – mit weitgehender Gleichberechtigung im Alltag – noch deutlicher auseinander klafft als in Südkorea – mit weitgehend starren Geschlechterrollen. Doch klar war für sie eine grundlegende Ursache: In allen untersuchten Ländern kamen Frauen als Experten oder Interviewte nur in rund 30 Prozent der Fernsehnachrichten vor, erst in längeren Berichten oder Artikeln wurden sie häufiger erwähnt. Dabei ging es aber dann wieder meist um „weiche“ Themen wie Familie, Kultur oder Lifestyle. „Es gibt einen positiven Kreislauf zwischen der Wahrnehmung, selbst politischen Einfluss zu haben, dem Suchen nach Informationen und dem Gewinn politischen Wissens“, schreiben die Autoren. „Und umgekehrt gibt es eine negative Dynamik, wobei jene, die weniger glauben, von Bedeutung zu sein, auch weniger die Nachrichten wahrnehmen und weniger informiert sind.“ Eine deutliche Unterrepräsentation und thematische Schlagseite in den Medien könne die Frauen letztendlich auch von politischer Teilnahme abhalten, so Hayashi, „und sogar verhindern, dass sie sich als Bürger in einer demokratischen Gesellschaft engagieren.“

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Quelle: „Media System, Political Context and Informed Citizenship: A Comparative Study”, J. Curran et al.; ESRC End of Award Report, RES-000-22-3863. Swindon: ESRC


 

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