Vom Eierlegen zur Lebendgeburt

Vor der Fähigkeit, lebende Junge zu gebären, steht die Eigenschaft, dass das Geschlecht des Nachwuchses durch die Gene bestimmt wird - ein komplexes Thema mit vielen Einzelfaktoren
Cambridge (USA) - Bei einem Schildkröten- oder Krokodilbaby hängt das Geschlecht von der Temperatur des Sandes ab, in dem das Ei heranreift. Dagegen wird es bei Hunden, Katzen und anderen Säugern dadurch bestimmt, ob sie ein X- und ein Y-Chromosom besitzen oder zwei X-Chromosomen. Jetzt berichten britische und amerikanische Biologen: Bevor eine Art lebende Junge zur Welt bringen kann, ist ein entscheidender Schritt notwendig. Das Geschlecht des Nachwuchses darf nicht mehr von äußeren Umständen abhängig sein, sondern allein von genetischen Faktoren, muss also wie bei Säugern genetisch vorbestimmt sein. Die Fähigkeit zur Lebendgeburt wiederum eröffnet dann völlig neue Möglichkeiten. So befähigte diese Entwicklung eine Reihe von Spezies überhaupt erst dazu, den Weg in die Ozeane zu wagen und unabhängig vom Land zu leben. Diese Schlüsse zieht das Forscherteam nach einer umfangreichen Analyse einer Vielzahl von Spezies. Details erläutern sie in "Nature".

"Das Geschlecht über genetische Mechanismen zu bestimmen, erlaubte es marinen Reptilien, im Gegensatz zum Eierlegen am Strand im Wasser lebende Junge zur Welt zu bringen", erläutert Chris Organ von der Harvard University. "Das befreite diese Arten von der Notwendigkeit, sich an Land bewegen und dort zu nisten zu müssen." Anhand mehr als neunzig heute lebender Arten erstellten Organ und seine Kollegen ein Datenset über deren Art und Weise, sich zu vermehren und das Geschlecht zu bestimmen. Sie stellten fest, dass Lebendgeburt erst dann auftritt, wenn das Geschlecht des Nachwuchses über die Gene bestimmt wird und nicht wie zum Beispiel bei manchen Reptilien von der Temperatur abhängig ist.

Ihre Daten nutzten die Forscher darüber hinaus, um bei drei verschiedenen Linien ausgestorbener mariner, lebendgebärender Reptilien einzuschätzen, wie das Geschlecht des Nachwuchses bestimmt wird. Während anhand von Fossilien zwar erkennbar ist, ob eine Art lebende Junge zur Welt brachte oder Eier legte, lassen sie keinen direkten Schluss auf die Bestimmung des Geschlechts zu. Die Ergebnisse von Organ und Kollegen legen nun nahe: Alle drei Spezies entwickelten zunächst die Eigenschaft, dass das Geschlecht genetisch festgelegt wird. Damit konnten sie den Lebensraum offenes Meer erobern, wo stabilere Temperaturen herrschen - was bei temperturabhängiger Geschlechtsbestimmung ein deutlicher Nachteil wäre. Dies wiederum ermöglichte den Reptilien dann, deutliche körperliche Anpassungen an die neue Lebensweise zu entwickeln, zum Beispiel spezialisierte Rücken- und Schwanzflossen.

(c) Wissenschaft aktuell
Quelle: "Genotypic sex determination enabled adaptive radiations of extinct marine reptiles", Chris L. Organ et al.; Nature (Vol. 461, S. 389)


 

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