Überreaktion des Immunsystems macht Grippe erst gefährlich

Nicht die Virusvermehrung selbst, sondern unkontrollierte Entzündungsreaktionen schädigen das Lungengewebe schwer
Schweinegrippeviren im Elektronenmikroskop (koloriert)
Schweinegrippeviren im Elektronenmikroskop (koloriert)
© C. S. Goldsmith, A. Balish / Centers for Disease Control and Prevention
La Jolla (USA) - Ob die Grippe einen milden oder tödlichen Verlauf nimmt, entscheidet nicht nur der Virustyp. Auch eine zu schwache oder aber überschießende Immunabwehr können das Sterberisiko erhöhen. US-amerikanische Forscher haben jetzt genauer untersucht, wie es durch die Infektion zu lebensbedrohlichen Entzündungsreaktionen kommt. Ursache dafür ist ein "Cytokinsturm", die übermäßig starke Produktion bestimmter Botenstoffe, sogenannter Cytokine. Diese werden aber nicht von infizierten Zellen der Atemwege, sondern von Blutgefäßzellen freigesetzt, schreiben die Wissenschaftler im Fachblatt "Cell". Sie identifizierten ein Signalprotein an der Oberfläche der Zellen, das als Schalter für die Regulation der Freisetzung dient. In Versuchen mit Mäusen milderte ein Wirkstoff, der den Schalter verändert, den Verlauf der Grippeinfektion und senkte die Zahl der Todesfälle.

"Lange Zeit glaubte man, dass die Gewebeschäden, die eine Grippe verursacht, auf dem Virus selbst beruhen. Daher konzentrierte man sich darauf, antivirale Medikamente zu entwickeln", sagt Michael Oldstone, der zusammen mit Hugh Rosen am Scripps Research Institute in La Jolla das Forscherteam leitet. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass Immunreaktionen des Körpers für die großen Schäden in den Lungen verantwortlich sind. Die neuen Ergebnisse zeigen, dass man zwischen der zerstörerischen Wirkung des Cytokinsturms und den durch die Virusvermehrung verursachten Zellschäden unterscheiden müsse, sagt Rosen. Die Forscher fanden heraus, dass die Cytokine aus Zellen der Blutgefäßwände freigesetzt werden und dann unkontrollierte Entzündungsreaktionen auslösen. An diesem Prozess ist ein Signalprotein in der Hülle der Blutgefäßzellen beteiligt, der Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptor. Mit einem Wirkstoff, der an den Rezeptor bindet und seine Funktion verändert, konnten die Wissenschaftler das Ausmaß der Immunreaktion begrenzen und tödliche Lungenschäden bei Mäusen verhindern, die mit dem menschlichen Grippevirus H1N1 infiziert waren.

Die Forscher hoffen nun, ein neues Grippemittel entwickeln zu können, das zusammen mit einem antiviralen Medikament wie Tamiflu eingenommen werden könnte, um für einen milderen Krankheitsverlauf zu sorgen. Möglicherweise ließe sich auch vorab ermitteln, welche Infizierten durch ein erhöhtes Risiko für einen Cytokinsturm besonders gefährdet sind. Überschießende Entzündungsreaktionen der Erkrankten waren wahrscheinlich für die zahlreichen Todesopfer verantwortlich, die die Spanische Grippe 1918 - 1919 weltweit gefordert hat. Schwere Krankheitsverläufe nach Infektionen mit dem Vogelgrippevirus H5N1 oder dem Schweinegrippevirus H1N1 waren ebenfalls verbunden mit einem Cytokinsturm, der das Lungengewebe ungewöhnlich stark schädigte.

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Quelle: "Endothelial Cells Are Central Orchestrators of Cytokine Amplification during Influenza Virus Infection", John R. Teijaro et al.; Cell, doi: 10.1016/j.cell.2011.08.015


 

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