Tinnitus - Neustart des Hirns hilft

Gezielte Stimulation des Vagusnervs, gepaart mit bestimmten Tönen, lindert die Beschwerden bei Ratten
Dallas (USA) - Bei gängigen Therapien gegen Tinnitus werden die lästigen Töne überdeckt oder die Betroffenen lernen, sie zu ignorieren. Doch womöglich könnte es in Zukunft eine Behandlung geben, die die lästigen Geräusche tatsächlich verschwinden lässt: Zumindest bei Ratten ist es amerikanischen Forschern mithilfe der Stimulation eines Hirnnervs und gleichzeitigen Vorspielens von Tönen über einen ausgedehnten Zeitraum gelungen, eine Art Neustart der betroffenen Hirnareale zu bewirken. Mit dieser Methode konnten sie den Tinnitus bei den Nagern eliminieren, berichten sie im Fachblatt "Nature". In naher Zukunft soll eine klinische Studie zeigen, ob sich die Methode auch für den Einsatz am Menschen eignet.

"Der Schlüssel ist, dass wir im Gegensatz zu früheren Behandlungen den Tinnitus nicht maskieren, wir verstecken ihn nicht", erläutert Michael P. Kilgard von der University of Texas in Dallas. "Wir stimmen das Gehirn um - von einem Zustand, in dem es den Tinnitus erzeugt, in einen Zustand, in dem es den Tinnitus nicht erzeugt. Wir eliminieren den Ursprung des Tinnitus." Kilgard und seine Kollegen arbeiteten in ihren Experimenten mit Ratten. Darunter waren auch Nager, die starkem Lärm ausgesetzt worden waren, wodurch sie unter einem Tinnitus litten.

Zunächst spielten sie acht Tieren 20 Tage lang 300mal täglich einen Ton von 9 Kilohertz vor und paarten dieses Geräusch mit einer leichten elektrischen Stimulation des Nervus vagus, des zehnten Hirnnervs. Diese Prozedur ließ die Zahl der Nervenzellen im auditiven Cortex, die auf diese Frequenz reagieren, im Vergleich zu Tieren aus einer Kontrollgruppe um 79 Prozent ansteigen. In einem weiteren Versuch spielten sie Ratten Töne zweier verschiedener Frequenzen - 4 und 19 Kilohertz - vor, begleiteten aber nur die höhere der beiden Frequenzen mit der Vagusnerv-Stimulation. Dadurch wuchs die Zahl der Neuronen, die dem höheren Ton zugehörig waren, um 70 Prozent, die Zahl der Neuronen der tieferen Frequenz sank dagegen sogar. Das belegte, dass nicht der Ton allein den Effekt erzielte, sondern mit der Stimulation des Nervus vagus gepaart sein musste.

Daraufhin testeten Kilgard und seine Kollegen, ob sich bei Ratten der durch Lärm induzierte Tinnitus auslöschen lässt, indem durch diese Prozedur die Zahl von Nervenzellen erhöht wird, die auf andere Frequenzen als die des Tinnitus reagieren. Dazu spielten sie den Nagern mit Tinnitus drei Wochen lang 300 mal täglich Töne vor, die um die Frequenz des Tinnitus-Tons herum lagen, und paarten diese mit der Vagusnerv-Stimulation. Die Forscher stellten fest: Die Prozedur reorganisierte die Neuronen im auditiven Cortex, so dass sie wieder auf ihre ursprünglichen Frequenzen reagierten, und eliminierte typische physiologische und verhaltensbedingte mit dem Tinnitus zusammenhängende Reaktionen. Die Zahl der Nervenzellen der so behandelten Ratten ging wieder auf das normale Maß zurück. Diese Veränderungen blieben auch über längere Zeit stabil. Bis sie in die klinische Phase gehen, arbeiten die Wissenschaftler noch daran, das Verfahren zu verfeinern und mehr Details des Effekts zu verstehen - etwa wie lange die Behandlung dauern sollte und ob sie sowohl bei akutem Tinnitus als auch bei der bereits chronischen Form helfen kann.

(c) Wissenschaft aktuell
Quelle: "Reversing pathological neural activity using targeted plasticity", Navzer D. Engineer, Michael P. Kilgard et al.; Nature (doi:10.1038/nature09656)


 

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