Starkbeben-Risiko in Chile und Bolivien bisher unterschätzt

Die Ursache für die gewaltigen Bebenkräfte liegt in der Verschiebung der Erdplatten. So prallt an der Westküste Südamerikas die ozeanische Nazca-Platte unter dem Pazifik auf die Erdkruste des Kontinents und taucht unter diese ab. Diese so genannte Subduktion macht die Region zu einer der gefährdetsten Erdbeben- und Vulkangebiete weltweit. Estella Minaya von dem Bebenobservatorium San Calixto in La Paz bestimmte nun zusammen mit US-amerikanischen Kollegen von der University of Memphis die Geschwindigkeit, mit der sich die obere Erdkruste in der Andenregion kontinuierlich verschiebt. Dazu führten sie mithilfe der Satelliten des GPS-Systems Positionsmessungen an zahlreichen Messpunkten in Bolivien, Chile und Peru durch.
Zwtl: Spannungen in der Erdkruste bauen sich kontinuierlich auf
So verschiebt sich das zentrale Andenplateau im küstennahen Bereich um etwa 63 Millimeter pro Jahr. An der Ostflanke dieses Plateaus – etwa 500 Kilometer landeinwärts – nimmt diese Geschwindigkeit jedoch auf etwa zwei Millimeter pro Jahr ab. Wegen dieser Diskrepanz bauen sich kontinuierlich Spannungen im Untergrund auf. Diese Kräfte könnten sich in starken Erdbeben wieder entladen. Über den Vergleich mit Bebenzonen in der Himalaya-Region, die ähnliche Geschwindigkeiten zeigen, und unter Beachtung der geologischen Struktur der Anden konnten die Forscher die mögliche Bebenstärke auf den unerwartet hohen Magnituden-Wert korrigieren.
Ein Blick auf historische Aufzeichnungen zeigte jedoch, dass in dieser Andenregion seit über 300 Jahren kein Beben mit dieser Stärke die Erde erschüttert hatte. Aber seit dem letzten, stärkeren Beben im Jahr 1886 hätten sich laut Aussage der Forscher bereits heute wieder genug Spannungen für ein Beben der Stärke 7 aufgebaut. Über die kommenden Jahrhunderte könnten diese Spannungskräfte weiter zunehmen und schließlich zu einem der befürchteten Starkbeben führen. Betroffen wären rund zwei Millionen Menschen, die in dieser Region leben. Und da die bisherigen Schutzmaßnahmen und Bauauflagen sich an einer maximalen Bebenstärke mit der Magnitude 7,5 orientieren, können die Forscher katastrophale Schäden nicht ausschließen.