Spur der Wörter im Hirn: Wörter für sinnlich erfahrbare Dinge werden in der jeweiligen Sinnesregion verarbeitet

Für bestimmte einfache und konkrete Wörter haben Wissenschaftler herausgefunden, wo sie im Gehirn verarbeitet werden.
Pittsburgh (USA) - "Otto biss kraftvoll in einen Apfel." Wie ein solcher Satz im Gehirn umgesetzt wird und eine bestimmte Vorstellung erzeugt, lässt sich bisher nicht sagen. Doch die Forschung kommt der Entschlüsselung solcher Gehirnprozesse immer näher. Jetzt haben amerikanische Wissenschaftler gezeigt, dass Bedeutungen von konkreten Wörtern wie "Tisch", "Jacke", "Bein", "Auto" oder "Apfelsine" im Gehirn in der Region verarbeitet werden, die für die entsprechende Sinneserfahrung zuständig ist. "Tisch" oder "Auto" werden also in der Region verarbeitet, die für das Anfassen zuständig ist, "Apfelsine" in der Region für Geschmack. Mit Hilfe eines Computermodells können die Forscher nun sogar die tatsächliche Verarbeitung konkreter Wörter in diesen Regionen voraussagen, berichten sie im Wissenschaftsmagazin "Science".

Ihre neun Versuchspersonen bat das Team um Tom M. Mitchell und Marcel Just von der Carnegie Mellon University, sich auf 60 konkrete Wörter zu konzentrieren. Die Wörter waren zwölf semantischen Kategorien zugeordnet, darunter Tiere, Körperteile, Gebäude, Kleidung, Insekten, Fahrzeuge und Gemüse - also fünf Wörter pro Kategorie. Während sich die Probanden auf die Wörter konzentrierten, beobachteten die Forscher ihre Gehirnaktivität mit Hilfe der funktionalen Magnetresonanz-Tomografie (fMRI). Die Ergebnisse dieser Messung speisten Mitchell, Just und ihre Kollegen in ein Computer-Modell ein, das die fMRI-Muster nutzte und damit ein Textkorpus von mehr als einer Billion Wörtern analysierte, das natürlich auch die 60 Substantive enthielt. Die Muster wurden hierzu in berechenbare Voxel - dreidimensionale Äquivalente zu Bildpunkten, so genannten Pixeln - aufgelöst. Aus der Analyse des Textkorpus ergab sich außerdem, wie oft jedes der 60 Substantive mit einem von 25 Verben für sensumotorische Vorgänge wie "essen", "hören", "schieben", "heben", "sehen" oder "kauen"auftrat. Die Forscher gehen davon aus, dass sie mit den 60 Substantiven, die zu zwölf verschiedenen Bereichen gehörten, und den 25 Verben ein Basisgerüst gewonnen haben, mit dem sich Aktivierungsmuster vorhersagen lassen, wenn eine Person - genauer: ihr Gehirn - mit bestimmten Wörtern konfrontiert wird.

Das Vorgehen der Forscher beruht dabei auf zwei Grundannahmen. Zum einen stützten sie sich auf die in der Linguistik bereits nachgewiesene Tendenz von Substantiven, besonders häufig mit bestimmten Verben oder Adjektiven aufzutreten. "Apfel" beispielsweise steht besonders gern in der Nähe von "essen" oder "kauen". In poetischer Sprache kann "Apfel" natürlich auch mit "schmeicheln" oder "triefen" zusammen auftreten, doch statistisch gesehen sind solche Vorkommnisse vernachlässigbar. Zum anderen gingen die Forscher davon aus, dass bei den neun Versuchspersonen, die sich auf die Substantive konzentrieren sollten, auch typische Handlungen oder Vorgänge in den Vorstellungen zu den Substantiven auftauchten. "Apfel" müsste demnach auch die Vorstellung des Essens oder des Pflückens aktivieren, was sich dann auch in der fMRI-Aufnahme niederschlagen würde.

Um dies zu überprüfen, trainierten die Wissenschaftler ein Computermodell mit jeweils den fMRI-Daten jedes Versuchsteilnehmers: Dabei ließen sie jedoch immer zwei der 60 Wörter und deren fMRI-Daten aus. Danach wurden die ausgelassenen Wörter in das Computer-Modell eingegeben, um zu sehen, welche Aktivierungsmuster sich bilden würden. Ein Vergleich mit den zuvor erhobenen vollständigen Daten an den echten Personen zeigte, dass die Übereinstimmung zwischen der Gehirnaktivität der Probanden und der Spontan-Bildung im Computer-Modell über 70 Prozent betrug, was weit über dem Zufall (50 Prozent) liegt.

Bei der Lokalisierung der Gehirnregionen, die bei bestimmten Wörtern aktiv waren, zeigte sich, dass diese Gehirnregionen für die sensorische oder motorische Verarbeitung dessen zuständig war, was ein Wort ausdrückte. Wörter für Lebensmittel und Verben wie "essen" wurden also in der Gehirnregion verarbeitet, die für Geschmack zuständig ist. "Wir sind im Wesentlichen Wahrnehmer und Akteure", erklärt Marcel Just. "Darum repräsentiert das Gehirn die Bedeutung eines konkreten Substantivs in jenen Arealen des Gehirns, die in Zusammenhang damit stehen, wie Menschen ein Ding empfinden oder wie sie es handhaben. Die Bedeutung eines Apfels beispielsweise wird in den Regionen repräsentiert, die für das Schmecken, das Riechen und das Kauen verantwortlich sind. Ein Apfel ist das, was man damit macht."

Mitchell, Just und ihre Kollegen sind nach eigenem Bekunden noch weit entfernt davon, erklären zu können, wie das Gehirn aus sensorischem Input die Repräsentationen von Wörtern erstellen kann. Aber ihre Forschung "wirft ein Licht auf einige Schlüsselregularitäten, die den neuronalen Repräsentationen von Bedeutung zugrundeliegen", schreiben sie in ihrer Publikation.

Carnegie Mellon University
Quelle: "Predicting Human Brain Activity Associated with the Meanings of Nouns", Tom M. Mitchell et al.; Science, 30. Mai 2008, Vol 320, S. 1191-1195


 

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