Speikobras planen 200 Millisekunden in die Zukunft

Nach genauer Beobachtung ihres Feindes berechnen die Kobras dessen Bewegungen voraus und spucken ihm genau in die Augen
Bonn - Eine Speikobra ist darauf angewiesen, das Gift ihrem Feind in die Augen zu sprühen - sonst bleibt es weitgehend wirkungslos. Für möglichst große Zielgenauigkeit haben die Schlangen eine ausgefeilte Taktik entwickelt, wie Biologen aus Bonn und den USA jetzt beobachten konnten. Zuerst verfolgen die Tiere genau die Feindbewegungen. Wenn sie dann ihr Gift verspritzen wollen, schätzen sie ab, wo sich die Augen des Opfers kurz darauf befinden werden: Sie planen 200 Millisekunden in die Zukunft und zielen genau dorthin, wo sie die Augen des Feindes dann vermuten, berichten die Forscher im Fachblatt "Journal of Experimental Biology".

"Mehrere Faktoren machen dieses Ausmaß an Treffsicherheit schwer zu erreichen", schreiben Guido Westhoff von der Universität Bonn und seine Kollegen. Zum einen bewegt sich das Ziel und ist häufig mehr als anderthalb Meter von der Schlange entfernt. Zum anderen dauert das Giftspritzen schätzungsweise lediglich 50 Millisekunden, so dass die Schlangen kaum während des Speiens die Richtung korrigieren können. Nicht zuletzt ist die Giftöffnung selbst relativ unbeweglich. Allerdings war den Forschern aufgefallen, dass Speikobras während des Spuckens mit ihrem Kopf wackeln. Um der Frage auf den Grund zu gehen, wie genau die Schlangen nun eine so gute Zielgenauigkeit zustande bringen und ob dieses Wackeln eine Rolle dabei spielt, beobachteten sie drei Speikobra-Arten beim Spucken: die Rote Speikobra (Naja pallida), die Schwarznacken-Speikobra (Naja nigricollis) und die Indochinesische Speikobra (Naja siamensis).

Zunächst galt es, herauszufinden, was die Schlangen überhaupt zum Spucken provoziert. Der Kollege aus den USA, der mit der Frage im Gepäck zu den Bonner Biologen gereist war, brachte ein erstaunliches Talent dafür mit. "Ich hab einfach nur die Schutzbrille angezogen und die Kobras fingen an zu spucken", erzählt Bruce Young von der University of Massachusetts in Lowell. Sechs Wochen lang filmte das Team mehr als 100 Spuckattacken, bis es herausfand, was genau der Auslöser war, der die Tiere so reizte. 200 Millisekunden vor dem Speien ruckte Young plötzlich mit dem Kopf. Die Kopfbewegungen des Forschers hatten Beschleunigungssensoren am Gesichtsschutz aufgezeichnet.

Bis zu dem Moment, in dem Young mit dem Kopf ruckte, schlussfolgerten die Forscher, mussten die Schlangen dessen Bewegungen genauestens verfolgen. Dann dauerte es noch 200 Millisekunden, bis sie reagierten und ihr Gift spieen. Doch bis dahin bewegte sich der Forscher immer noch und die Tiere konnten den Giftstrahl selbst nicht steuern. Demnach mussten die Speikobras in der Lage sein, genau jenen Punkt abzuschätzen, an dem der Feind 200 Millisekunden später sein würde. Als die Biologen sämtliche Kopfbewegungen der Schlangen mit denen Youngs verglichen stellten sie fest, dass sie sich auf eine sehr ähnliche Weise und in dieselbe Richtung bewegten. "Sie beschleunigte nicht nur, sondern sah auch voraus, wo ich sein würde, und verteilte ihr Gift dann in diesem Bereich", erklärt Young. Die Autoren fassen zusammen: "Die Fähigkeit der Kobra, die Bewegungen des Ziels zu verfolgen und vorherzusagen und schnelle Kopfvibrationen durchzuführen, die mit den Bewegungen des Ziels koordiniert sind, legen ein Ausmaß neuronaler Verarbeitung nahe, das Schlangen oder anderen Reptilen bisher nicht zugesprochen wurde."

(c) Wissenschaft aktuell
Quelle: "Target tracking during venom 'spitting' by cobras", Westhoff, G., Boetig, M., Bleckmann, H. and Young, B. A.; Journal of Experimental Biology (Vol. 213, S. 1797)


 

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