Rezeptor macht Vergessen

Entdeckung eines biochemischen Signalweges zum Verlernen ebnet möglicherweise den Weg für neue medikamentöse Ansätze zur Behandlung von Angststörungen, Phobien oder posttraumatischen Belastungsstörungen
La Jolla (USA) - Eine Pille zum Vergessen? Was heute noch utopisch klingt, könnte in Zukunft wahr werden - dank der Erkenntnisse amerikanischer Neurobiologen: Sie haben einen neuen möglichen Ansatz für die Entwicklung von Wirkstoffen gefunden, die genau dabei helfen könnten. Ein bestimmter Rezeptor für den Neurotransmitter Glutamat spielt offenbar eine Schlüsselrolle beim Verlernen und Vergessen. Mäuse, denen die Erbinformation für diesen Rezeptor namens mGluR5 fehlt, haben eindeutig Probleme, einmal Erlerntes wieder zu vergessen. Das haben die Forscher in Verhaltensversuchen mit den Nagern beobachtet, berichten sie im "Journal of Neuroscience".

"Die meisten Studien konzentrieren sich auf das 'Lernen', dabei ist der Prozess des 'Verlernens' vermutlich genauso wichtig aber weit weniger verstanden", erläutert Stephen F. Heinemann vom Salk Institute for Biological Studies. "Die meisten Leute sind sich einig, dass ein Scheitern, etwas zu 'verlernen', ein Kennzeichen posttraumatischer Belastungsstörungen ist." Solche und ähnlich gelagerte Probleme wie Phobien oder Angststörungen können die Lebensqualität schwer beeinträchtigen und viele Betroffene würden Erlebtes gerne einfach vergessen können. Ein Medikament zu haben, das den zugrunde liegenden biochemischen Mechanismus gezielt beeinflusst, würde demnach entscheidend bei der Behandlung dieser Krankheitsbilder helfen.

Gemeinsam mit seinen Kollegen wollte Heinemann herausfinden, ob der an manchen Formen von Lernen beteiligte Rezeptor mGluR5 - kurz für metabotropic glutamate receptor 5 - ebenfalls eine Rolle beim Verlernen spielt. Dazu verglichen die Neurobiologen das Lern- und Verlernverhalten genetisch veränderter Mäuse, denen das Gen für mGluR5 fehlte, mit dem Verhalten gewöhnlicher Artgenossen. Sie trainierten den Nagern zum Beispiel eine Furcht vor einem bestimmten Ton an, indem sie das Geräusch mit einem leichten Schock kombinierten. Normale Mäuse waren in der Lage, die erlernte Furcht wieder zu verlernen, wenn sie den Ton immer wieder ohne den Schock zu hören bekamen. Die mGluR5-losen Mäuse lernten zwar, sich vor dem Ton zu fürchten, konnten ihre Furcht dagegen aber nicht wieder abschütteln, beobachteten die Forscher.

Auch in einem klassischen Schwimm-Irrgarten-Experiment mit einer rettenden Plattform, in dem die Wissenschaftler die Position der Rettungsinsel veränderten, hatten die genetisch veränderten Tiere große Schwierigkeiten. Es fiel ihnen deutlich schwerer, die einmal erlernte Position wieder zu vergessen und sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen. "Mäuse ohne mGluR5 hatten massive Defizite bei Aufgaben, die von ihnen verlangten, zu 'verlernen', was sie grade erst gelernt hatten", erläutert Heinemanns Kollege Jian Xu. "Wie denken, dass die gleichen Mechanismen bei posttraumatischen Belastungsstörungen gestört sind und dass mGluR5 ein mögliches Ziel für therapeutisches Eingreifen bieten könnte."

(c) Wissenschaft aktuell
Quelle: "mGluR5 Has a Critical Role in Inhibitory Learning", Jian Xu, Yongling Zhu, Anis Contractor, Stephen F. Heinemann; Journal of Neuroscience (


 

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