Raue Gesellen mit feiner Zunge: Was war drin im Grog der Wikinger?

Analyse archäologischer Getränkereste aus Skandinavien unterstreicht auch Handel südländischer Weine im Norden bereits vor 3000 Jahren.
Neben Schmuck und Kosmetik-Objekten wurde diese 30jährige Frau rund 200 Jahre vor Christi Geburt im dänischen Juellinge begraben. In ihrer rechten Hand hält sie einen langstielige bronzene Siebtasse, Teil eines römischen Wein-Sets – der Bronzekübel mit den Überresten des Grogs, die Kelle und ein Trinkglas neben ihrem Kopf gehören auch dazu.
Neben Schmuck und Kosmetik-Objekten wurde diese 30jährige Frau rund 200 Jahre vor Christi Geburt im dänischen Juellinge begraben. In ihrer rechten Hand hält sie einen langstielige bronzene Siebtasse, Teil eines römischen Wein-Sets – der Bronzekübel mit den Überresten des Grogs, die Kelle und ein Trinkglas neben ihrem Kopf gehören auch dazu.
© CC Nationalmuseum Dänemark
Philadelphia (USA ) - Die wilden Nordmänner waren beim Trinken kultivierter, als der Mythos besagt: Ihr Lieblingsgetränk - „nordischer Grog“ - war ein komplexes Mixgebräu aus Honig, Beeren, Kräutern und Getreide. Manchmal variierten sie ihn auch mit importiertem Traubenwein aus dem Süden und tranken ihn gerne aus prächtigen römischen Gefäßen, berichten US-Forscher. Sie hatten Getränkereste aus vier Bronzezeit-Fundorten in Dänemark und Schweden mit modernen Methoden analysiert. Dabei fanden sich Beweise für eine frühe und weit verbreitete Tradition des Grogtrinkens, erklärten die Wissenschaftler kürzlich im „Danish Journal of Archaeology“. Zudem lieferten sie den ersten chemisch belegten Beweis, dass dort bereits 1100 Jahre vor Christus Traubenwein aus wärmeren Gefilden getrunken wurde und die Handelswege bis nach Skandinavien reichten.

„Die frühen Skandinavier waren weit entfernt von jenen Barbaren, als die sie die alten Griechen und Römer so anschaulich beschrieben“, erklärt Patrick E. McGovern vom University of Pennsylvania Museum of Archaeology and Anthropology: „Nach diesen Funden erscheinen sie als Menschen mit innovativem Flair und sie waren nicht abgeneigt, Gegenstände der Süd- oder Mitteleuropäer anzunehmen – so tranken sie ihre Lieblingsgetränke aus importierten und oft demonstrativ prachtvollen Gefäßen.“ Im Rahmen des „Biomolecular Archaeology Project“ am Museum hatte McGoverns Team vier Substanzproben aus frühzeitlichen skandinavischen Fundorten untersucht.

Die älteste, datiert auf 1500 bis 1300 vor Christi Geburt, stammte aus dem Grab eines Kriegerprinzen bei Nandrup im Nordwesten Dänemarks. In dessen Eichensarg lag neben Waffen auch ein Tonkrug mit dunklen organischen Rückständen. Die zweite Probe, ein halbes Jahrtausend jünger, haftete in einem Bronzesieb aus einem Hortfund bei Kopenhagen – ähnlich wie beim nahen dritten Fundort, in einem Bronzekübel als Teil eines aus dem Römischen Reich importieren Wein-Sets. Er lag im Holzsarg einer rund dreißigjährigen Frau, die rund 200 Jahre vor Christus auf der Insel Lolland begraben worden war, mit einer Tasse des Sets in der rechten Hand. Und auch die vierte Probe stammte aus einem importieren Wein-Set, diesmal in einem rund 2000 Jahre alten Hortfund auf der schwedischen Ostseeinsel Gotland.

„Das Getränk, das dem historischen Grog am ähnlichsten ist und noch heute hergestellt wird, ist der Gotlandsdryka auf der Insel Gotland“, berichtet McGovern: „Man kann ihn auf den Bauernhöfen probieren. Er ist aus Gerste, Honig und Wacholder gemacht, und aus Kräutern wie in der alten Version.“ Um die ursprünglichen Zutaten herauszufinden, analysierten die Forscher ihre Probesubstanzen mit Hilfe vierer chemischer und physikalischer Methoden: der Gaschromatographie (GC-MS) und Fourier-Infrarot-Spektroskopie (FT-IR), der Hochleistungsflüssigkeitschromatographie mit Tandem-Massenspektrometern sowie der Festphasenmikroextraktion (SPME). In Kombination mit archaeobotanischen Informationen – welche Pflanzen zu jener Zeit in der Region wuchsen – identifizierten Forscher nicht nur die Zutaten, sondern auch die Art der Zubereitung.

„Generell bevorzugten die Nordischen Völker ein Mischgetränk oder ‚Grog’, in dem viele Zutaten gemeinsam fermentiert wurden, inklusive vor Ort verfügbarer Honig, Früchte wie Moosbeere und Preiselbeere sowie Getreidekörner, etwa Weizen, Gerste oder Roggen – und manchmal Traubenwein“, schreiben die Archäochemiker. „Regionale Kräuter und Gewürze, wie Sumpfmyrte oder Gagelstrauch, Schafgarbe, Wacholder und Birkenharz rundeten das Gebräu ab.“ Vermutlich lieferten diese Zutaten nicht nur besondere Aromen und rundeten den Geschmack ab, so die Forscher, sondern dienten auch medizinischen Zwecken. Bis ins Mittelalter und zur heutigen Zeit sind sie in alkoholischen Getränken zu finden. Mit der Analyse ist ihr früher Einsatz der Zutaten nun chemisch nachgewiesen. Ebenso der Handel von Traubenwein aus Süd- und Mitteleuropa bis nach Skandinavien schon um etwa 1100 vor Christus – dies war bislang nur mit Überlieferungen und Schriftstücken belegt.

„Die Ergebnisse belegen auch das gesellschaftliche und zeremonielle Prestige, das mit dem Wein verbunden wurde – besonders wenn er als ‚Nordischer Grog’ in besonderen, aus dem Süden importierten Wein-Sets serviert wurde“, betont das Team. Schon zur Bronzezeit habe es also wohl ein aktives Handelsnetz über ganz Europa gegeben, in welchem Bernstein als Haupthandelsgut gegen Wein getauscht wurde. Das belegten auch die Spuren von Kiefernharz in den Getränke-Resten: „Sie stammen vermutlich aus dem importierten Wein und wurden ihm als Konservierungsmittel beigefügt, für die lange Reise nach Norden.“

Gleich mehrere moderne Brauereien setzen auf McGoverns Ergebnisse und wollen einen historisch korrekten Wikingertrunk am modernen Kunden testen: In den USA entwickelte die Dogfish Head Craft Brewery in Delaware ein Mischgebräu namens „Kvasir“, aus Weizen- und Gerstenbier, Beerenwein und Honigwein, verfeinert mit Myrte, Schafgarbe, Klee und Birkensirup. Ganz ähnlich zusammengesetzt ist das „Arketyp“ aus der Ångbryggeri im schwedischen Nynäshamn.

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