Muttersprache ist auch in der Fremdsprache immer präsent

Sogar, wenn man einen rein fremdsprachigen Text in einer fremdsprachigen Umgebung liest, greift das Gehirn immer noch auf muttersprachliche Informationen zurück
Bangor (Großbritannien) - Wer etwa fließend Englisch liest, aber diese Sprache nicht als Muttersprache hat, greift immer wieder auf Informationen aus der eigenen Muttersprache zurück. Dies stellte ein chinesisch-britisches Forscherteam jetzt in einem Experiment mit ein- und zweisprachigen Engländern und Chinesen fest, über das sie im "Journal of Neuroscience" berichten.

"Zweisprachige Menschen rufen Informationen aus ihrer Muttersprache auch dann ab, wenn es nicht notwendig ist - ja, mehr noch: Sie rufen diese Informationen auch dann ab, wenn es kontraproduktiv ist, denn muttersprachliche Informationen sind nicht hilfreich, wenn man Texte in einer Fremdsprache liest oder hört", erklärt Guillaume Thierry von der Bangor University, einer der Autoren der Studie.

Um herauszufinden, wie Sprachen in einem zweisprachigen Gehirn interagieren, baten die Forscher 90 Versuchspersonen, an einem Lese- und Hör-Test teilzunehmen. Die Versuchspersonen waren 30 chinesische Muttersprachler, 30 englische Muttersprachler und 30 erwachsene Chinesen, die Englisch kurz nach dem 12. Lebensjahr - als Fremdsprache - zu lernen begonnen hatten. Die englischen Muttersprachler bekamen außerdem die Aufgabe, bei bestimmten Wortpaaren wie "doctor" und "nurse" oder "teacher" und "rabbit" zu entscheiden, ob zwischen den Wörtern ein inhaltlicher Bezug oder eine inhaltliche Ähnlichkeit bestand. Während die Probanden die Aufgaben lösten, zeichneten Elektroden, die am Kopf der Probanden befestigt waren, die Gehirnreaktionen auf.

Die Forscher sagten den Versuchsteilnehmern nicht, dass manche Wörter, die im Englischen zu ganz anderen Bedeutungsfeldern gehören, im Chinesischen sehr ähnlich klingen. Die Untersuchungsergebnisse zeigten, dass die Chinesisch-Englisch-Sprecher ebenso schnell wie englische Muttersprachler erkannten, welche Wörter inhaltlich zusammenhingen. Doch die Wissenschaftler konnten auch beobachten, dass Wörter auf Chinesisch zusammengebracht wurden, die im Englischen nichts miteinander zu tun haben. So heißt zum Beispiel 'Erfahrung' auf Chinesisch "jing yan" und 'Überraschung' "jing ya". Eine bestimmte Welle der Gehirnaktivität, die N400, zeigte eine Reaktion, sobald Chinesen solche englischen Wörter den chinesischen Wörtern gegenüberstellten. Wörter einer Fremdsprache, die dort nichts miteinander zu tun haben, mit muttersprachlichen Wörtern in Verbindung zu bringen, nur, weil sie dort ähnlich klingen, kann unter Umständen das Verstehen fremdsprachlicher Texte beeinträchtigen, vermuten die Forscher.

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Quelle: "Chinese-English Bilinguals Reading English Hear Chinese", Y. J. Wu, G. Thierry, Journal of Neuroscience, 2010; 30 (22): 7646 DOI: 10.1523/JNEUROSCI.1602-10.2010


 

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