Muslime "überträumen" wichtige Entscheidungen

Während man im Westen wichtige Entscheidungen gern noch einmal überschläft, haben die Muslime eine lange Tradition, ihre Träume zur Entscheidungsfindung heranzuziehen
Durham (Großbritannien) - Vor wichtigen Entscheidungen - Ausbildung, Heirat oder Hauskauf - wenden viele Menschen spezielle Strategien an. Im Westen holt man sich Rat bei guten Freunden, spricht mit seinem Therapeuten, überschläft die Entscheidung oder legt - wenn man eher zur Esoterik neigt - Tarotkarten. Muslime hingegen haben eine lange Tradition, Entscheidungen zu "überträumen". In der Fachzeitschrift "History and Anthropology" legen jetzt britische Anthropologen dar, wie sich auch moderne Muslime nach der Deutung richten, die ihnen die Istikhara, das muslimische Bittgebet zur Entscheidungsfindung, nahelegt.

"Muslime sind oft etwas wortkarg, wenn es um ihre Anwendung der Istikhara geht", erklärt Iain Edgar von der Durham University. "Aber durch unsere Studien können wir belegen, dass Istikhara eine weit verbreitete Praxis in verschiedenen islamischen Glaubensrichtungen in den verschiedensten Regionen der Welt ist." Iain Edgar und sein Kollege David Henig haben 60 Muslime aus Großbritannien, den USA, Europa und Pakistan interviewt und herausgefunden, dass sie sie sich gerade bei großen und schwierigen Entscheidungen wie Heirat oder Karrierefragen gern nach der Istikhara richten.

Die Istikhara wird in der Regel von einem Familienmitglied gelernt und variiert in der Ausführung leicht je nach Region. Das wesentliche Element sind zwei aufeinanderfolgende Gebete vor dem Schlafengehen. Dabei konzentriert sich der oder die Betende auf die große Frage, die er oder sie sich stellt. Dann legt man sich auf die rechte Seite zum Schlafen und nimmt sich fest vor, die große Frage auch während des Schlafs zu behalten. In manchen Varianten der Istikhara betrachtet man gleich den Traum, den man am nächsten Morgen erinnert, als Symbol für die Lösung der Frage. In anderen Varianten muss man die ganze Prozedur sieben Tage lang wiederholen.

Die Anwendung der Istikhara beruht stark auf der Deutung von Symbolen und Farben. Die im Islam positiv besetzten Farben Weiß und Grün geben, wenn sie im Traum auftauchen, der gestellten Frage eine positive Antwort. Schwarz, Gelb oder Rot an Personen oder Dingen gelten als negativ. Wenn der oder die Betende schließlich über die Symbole und Farben eine Antwort auf seine Frage gefunden hat, gilt dies als bindend, denn diese Antwort wird als von Gott kommend angesehen. Während seiner Feldstudien, die Edgar seit mehr als zwei Jahrzehnten betreibt, konnte er feststellen, dass Istikhara auch für andere Menschen angewandt wird. So gibt es islamische Heiler, etwa in Bosnien, die die Istikhara für ihre Patienten anwenden.

Edgar will diese Praxis nicht als exotisch darstellen: "In der westlichen Kultur sagen wir 'lass uns drüber schlafen', wenn wir schwierige Entscheidungen zu treffen haben, und am Morgen sieht man dann tatsächlich klarer. Die Istikhara ist die spirituelle Version dieser Praxis."

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Quelle: "Istikhara: The Guidance and Practice of Islamic Dream Incubation Through Ethnographic Comparison", I. Edgar & D. Henig. History and Anthropology Vol. 21, No 3, September 2010, S. 251-262.


 

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