Innerer Schweinehund: Willenskraft bleibt über Jahrzehnte stabil
"Dass man noch Jahre später diese Unterschiede sehen kann, ist fast unglaublich", sagt B. J. Casey, Ko-Autorin vom Weill Cornell Medical College in New York City. Der Kindertest begann Ende der 1960er Jahre an der Stanford University: Mehr als 500 Vierjährige saßen jeweils alleine in einem Raum, vor ihnen ein verlockender, süßer Marshmallow. Die Kinder wussten, dass sie zwei davon bekämen, wenn sie der aktuellen Versuchung nur 15 Minuten lang widerstehen würden. Rund vier Jahrzehnte später wollten Casey und ihre Kollegen herausfinden, ob sich die damals getestete Willenskraft und Impulskontrolle der Teilnehmer verändert hatten. Neunundfünfzig von ihnen konnten sie für ihre neue Studie gewinnen.
Statt mit Marshmallows testete das Team diesmal mit lächelnden Gesichtern: In einer Abfolge von Bildern sollten die Testpersonen immer dann und nur dann einen Knopf drücken, wenn sie ein bestimmtes Gesicht erkannten. Bei einer raschen Bildfolge gewöhnten sich die Probanden schnell ans Drücken. Eingestreut waren in Abständen die Bilder fröhlicher Menschen, die tendenziell auch den Impuls des Knopfdrückens auslösen, so Casey: "Wir haben unser Leben lang gelernt, dass lächelnde Gesichter etwas Gutes sind."
Tatsächlich zeigte sich: Wer als Kind schnell den einzelnen Marshmallow gewählt hatte, konnte als Erwachsener den Drück-Impuls bei Lächel-Bildern schlechter bekämpfen als die Geduldigeren. Bei 26 Teilnehmern beobachteten die Forscher gleichzeitig die Hirnaktivität und stellten fest: Beim Widerstehen der Versuchung war eine Region im Stirnlappen beteiligt, die bekannt ist für ihre Aktivität bei kontrollierten Handlungen. Und beim Nachgeben der Versuchung beziehungsweise der impulsiven direkten Handlung war das sogenannte Ventrale Striatum beteiligt, eine Region des Vorderhirns, in der man das Verarbeiten von Wünschen und Belohnung vermutet. Beide Ergebnisse waren für die Forscher wenig überraschend. Nun wollen sie herausfinden, unter welchen Umständen die Willenskraft sich im Laufe des Lebens doch verändern kann. Möglicherweise können gezielte Strategien das impulsive Verhalten zurückdrängen, so die Vermutung. Deshalb testen Casey und Kollegen derzeit Menschen, deren Verhalten bei Versuchungen sich mit den Jahren entgegen der Wahrscheinlichkeit doch wandelte.
DOI: 10.1073/pnas.1108561108