Immunsystem verhindert Heilung von Rückenmarksverletzungen
"Unsere Experimente beweisen, dass Antikörper von sich aus das Potential besitzen, Rückenmarksverletzungen zu verschlimmern", sagt Daniel Ankeny von der Ohio State University in Columbus. "Das könnte auch erklären, warum die Regenerationsfähigkeit des zentralen Nervensystems so gering ist", sagt Phillip Popovich, der Leiter des Forschungsteams. Bei ihren Versuchen mit Mäusen hatten die Forscher entdeckt, dass sich B-Zellen am Ort der Rückenmarksverletzung ansammeln und sich in Antikörper produzierende Plasmazellen umwandeln. Die Antikörper lagerten sich an Bestandteile der Nerven an und waren auch im Blut nachweisbar.
Bei genetisch veränderten Mäusen, die keine B-Zellen und damit auch keine Antikörper bilden konnten, war neun Wochen nach einer Verletzung des Rückenmarks das Ausmaß der Nervenschäden ein Drittel geringer und die Beweglichkeit weniger eingeschränkt als bei normalen verletzten Mäusen. Um die Rolle der Antikörper genauer zu untersuchen, reinigten die Forscher die Immunproteine aus dem Blut verletzter normaler Mäuse und injizierten sie in das Rückenmark gesunder Tiere: Innerhalb von zwei Tagen traten Lähmungserscheinungen auf, die eine Woche anhielten. Offenbar können die nach einer Rückenmarksverletzung gebildeten Antikörper eine Immunreaktion auslösen, die auch gesundes Gewebe angreift. Da die Antikörper mit dem Blut auch in andere Körperteile gelangen, so Popovich, könnten sie zusätzlich für Schäden in Blase und Nieren verantwortlich sein, unter denen Rückenmarksverletzte oft leiden.
Wenn die beschriebenen Immunreaktionen auch beim Menschen auftreten, sollten neue Strategien entwickelt werden, um eine Regeneration verletzter Nerven zu fördern, schreiben Gregory Dekaban und Sakina Thawer von der University of Western Ontario in einem begleitenden Kommentar. Eine Möglichkeit wäre, durch Plasmapherese das Blut der Verletzten von Antikörpern zu reinigen. Eine andere bestünde in einer Therapie, die gegen die B-Zellen gerichtet ist. Dazu wären aber zunächst weitere Tierversuche nötig.
Kommentar: "Pathogenic antibodies are active participants in spinal cord injury", Gregory A. Dekaban, Sakina Thawer, Journal of Clinical Investigation, Online-Publikation, doi: 10.1172/JCI40839