Gene ablesen: Proteine gleiten auf "elektrischem Luftkissen"

Wie geschmiert rutschen ablesende Proteine auf der DNA entlang, während sie nach ihrer passenden Bindungsstelle suchen - das ergeben französischen Modellrechnungen
Paris (Frankreich) - Die wichtigsten Erbgutstränge sind wertlos, wenn keiner sie abliest und die Information weiterverarbeitet - für das Aktivieren von Genen, als Blaupause für neue Moleküle oder etwa fürs Duplizieren, bevor sich die Zelle teilt. Das Ablesen übernehmen unterschiedlichste Eiweißmoleküle - die DNA-bindenden Proteine. Jetzt haben französische Forscher berechnet, wie solche Proteine sich effizient am langen DNA-Strang entlang bewegen, bis sie die auf sie passende Ablesestelle finden: Eine elektrisch-osmotische Wechselwirkung - ein leichtes Abstoßen bei zu großer Nähe - baut eine Art Gleitpolster auf, auf dem die Proteine leicht rutschen können. Erreichen sie dann ihre spezifische Bindungsstelle, so verändern sich die Kraftverhältnisse und die Proteine können ihre Ablesearbeit aufnehmen. Früher hatte man vermutet, dass sich Proteine auf der Suche nach ihrer Bindungsstelle der DNA immer wieder nähern und entfernen, sich quasi hüpfend fortbewegen. Die Pariser Wissenschaftler jedoch erreichen mit ihrer rein theoretischen Simulation des Gleitens eine gute Übereinstimmung mit tatsächlichen Messungen. Sie präsentieren ihre Details im Fachblatt "Physical Review Letters".

"Wir zeigen mit Hilfe von Simulationen und analytischer Berechnungen, dass es im Nanometerabstand ein Abstoßen der beiden gegensätzlich geladenen Makromoleküle gibt", schreibt das Team um Vincent Dahirel von der Pariser Pierre & Marie Curie Université. Die Physiker und Chemiker reduzierten die komplexen biologischen Abläufe auf grobe physikalische Formen und deren Wechselwirkungen. Die DNA-Doppelhelix betrachteten sie als langen Zylinder von zwei Nanometern (Millionstel Millimetern) Durchmesser, während sie für die ablesenden Proteine vier geometrische Formen von rund fünf mal fünf Nanometern austesteten: eine Kugel, einen Zylinder und je einen Würfel und Zylinder mit einer breiten Kerbe an einer Seite, die in etwa an die DNA-Form passte. Dann griffen sie zu so genannten Monte-Carlo-Simulationen, bei welchen ein Computer Zufallsexperimente in sehr hoher Zahl durchrechnet. Da die DNA nach außen hin negativ geladen und die Proteine positiv geladen sind, ergibt sich eine elektrische Wechselwirkung.

Dahirel und Kollegen wollten nun feststellen, wie es den Proteinen gelingt, exakt die korrekte Bindungsstelle auf dem langen, verdrehten Erbgutstrang zu finden. Bei den Simulationen stellte sich heraus, dass die elektrische Anziehung der ersten drei Formen simulierter Moleküle unverändert anhielt, während sie sich dem DNA-Zylinder näherten. Doch im Falle des Zylinders mit Kerbe begann eine Abstoßreaktion, sobald sie bis auf 0,1 bis 0,75 Nanometer an die DNA herankamen - je nach Ladung, die sie für das Protein angesetzt hatten. Im richtigen Abstand ergab sich ein Gleichgewicht zwischen Anziehung und Abstoßung, so dass das Protein in der Lage war, wie auf einem Luftkissen die DNA in beide Richtungen entlang zu gleiten

Grund für die abstoßenden Kräfte sind offenbar unterschiedliche Ladungsdichten und die Ionen, die in der die Moleküle umgebenden Zellflüssigkeit gelöst sind. Besitzt die DNA-Oberfläche mehr negative Landung als das Protein positive, so zieht es einige positiv geladene Ionen aus der Lösung an seine Oberfläche. Schrumpft dann der Abstand, so entsteht dort eine Region hoher Ionen-Konzentration, quasi übersalzener Flüssigkeit - was die Natur per Osmose auszugleichen sucht: Wassermoleküle drängen in die Region, um die Ionenkonzentration wieder zu verdünnen. So baut sich an den Kanten zwischen Protein und DNA ein osmotischer Druck auf, der das Protein wieder zurückstößt. Das Gleichgewicht zwischen anziehender elektrischer Ladung und abstoßendem Wasserdruck ermöglicht das Gleiten an der Oberfläche.

Tatsächlich, so überprüfte das Team anhand von 77 unterschiedlichen Proteindaten, besitzt das durchschnittliche DNA-bindende Protein nur 17% der Oberflächenladung von DNA. Das Modell sagt für eine solche Ladungsdifferenz vorher, dass der Gleit-Abstand der Proteine bei rund einem halben Nanometer von der DNA-Oberfläche liegen sollte. Die Vorhersage stimmt gut mit tatsächlichen Messungen eines Bakterienproteins namens EcoRV überein, so die Forscher.

Erreicht das Protein dann seine Zielregion auf der DNA, die es abzulesen gilt, so entstehen zahlreiche Wasserstoffbrückenbindungen zwischen DNA und Protein, deren Anziehungskraft stärker ist als der osmotische Druck: Das Protein setzt nun direkt auf dem Erbgutstrang auf und beginnt mit seiner eigentlichen Arbeit.

(c) Wissenschaft aktuell
Quelle: "Nonspecific DNA Protein Interaction: Why Proteins Can Diffuse Along DNA", Vincent Dahirel, Fabien Paillusson, Marie Jardat, Maria Barbi &Jean-Marc Victor; Physical Review Letters, Band 102, Ausgabe 22, Seiten 228101 ff.


 

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