Freundschaft unter Vampiren
„Das ist die erste Studie, die bei Tieren sorgfältig untersucht, wie sich neue kooperative Beziehungen zwischen völlig Fremden der gleichen Spezies bilden und bestehen bleiben“, erläutert Gerald Carter von der Ohio State University. In Panama hatten die Biologen insgesamt 39 Vampirfledermäuse aus zwei weit voneinander entfernten Kolonien gesammelt. Sie brachten die Tiere in einem Gehege nach und nach zusammen – in Paaren, in Kleingruppen und schließlich alle gemeinsam. Die sehr sozialen Tiere hatten zahlreiche Möglichkeiten, miteinander zu interagieren, und die Forscher somit viele Gelegenheiten, typische Verhaltensweisen zu beobachten wie zum Beispiel gegenseitige Fellpflege oder das Teilen von Futter.
Über einen Zeitraum von 15 Monaten stellten die Biologen fest, dass sich unter zuvor völlig fremden Artgenossen mitunter sogar so enge Bindungen entwickelten, dass die Tiere eine Blutmahlzeit teilten. Das ist ein sehr großes Opfer für Vampirfledermäuse, das tatsächlich Leben retten kann. Denn wenn die Tiere rund drei Tage kein Blut bekommen, laufen sie Gefahr zu sterben. Solche Freundschaften entstanden allerdings in kleinen Schritten und die Investitionen in die Beziehung wurden langsam größer. Zunächst suchten die Fledermäuse lediglich die körperliche Nähe, was quasi keine Kosten für sie bedeutet. Darauf folgten gelegentliche und häufigere Fellpflege. „Selbst wenn man alle Parasiten aus ihrem Fell entfernt, widmen sie sich der gegenseitigen Fellpflege mehr als nötig“, erzählt Carter. „Wir nehmen an, dass soziale Fellpflege eine Art Währung ist – eine Möglichkeit, eine Bindung mit einem anderen Individuum zu stärken.“ Und manchmal konnten die Biologen beobachten, das zuvor völlig Fremde schließlich sogar ihre Blutmahlzeit teilten.
Mit ihren Beobachtungen bestätigen Carter und seine Kollegen eine Modellvorstellung zur Entstehung kooperativer Beziehungen. Diese besagt, dass Vertrauen mit der Zeit entsteht, indem sich kleine Investitionen in das Wohlergehen des anderen nach und nach steigern – sich sozusagen der Einsatz nach und nach erhöht. „Der Ansatz, mit weniger kostspieligen Verhaltensweisen kostspieligere Investitionen aufzubauen, könnte etwas von weitaus allgemeinerer Bedeutung sein als nur für das Teilen von Futter bei Vampirfledermäusen“, meint Carter. Er geht davon aus, dass dieses Prinzip auch bei anderen sozialen Tieren zu finden ist, etwa bei Primaten, und sogar die Bildung menschlicher Beziehungen erklären kann.