Erdbeben erwischen per Privat-Laptop

Viele tausend Kleinrechner sollen ein Frühwarnsystem bilden, das die teuren Sensoren der Erdbebenforscher ergänzt - möglich macht das die Festplattentechnik im Laptop
Riverside (USA)/Stanford (USA) - Wenn ein einzelner Laptop eine Erschütterung meldet, ist er vermutlich vom Tisch gefallen. Melden aber viele Laptops exakt gleichzeitig ein Wackeln, dann dürfte es sich um ein Erdbeben handeln. Nach diesem Prinzip arbeitet das "Quake Catcher Network"(QCN), ein Projekt von Erdbebenforschern, das die freiwillige Hilfe vieler privater Computerbesitzer zum Erkennen von Erdbeben ("earth quakes") nutzt. Möglich wird das durch die Beschleunigungssensoren an Bord von Laptops und anderen Kleinrechnern, die blitzschnell auf heftige Erschütterungen reagieren. Fällt das Gerät vom Tisch, kann die Festplatte rechtzeitig ihren Schreib-/Lesekopf einfahren, um den Datenspeicher nicht zu beschädigen. Obwohl diese Sensoren aus Massenfertigung deutlich weniger empfindlich sind als die hochpräzisen Bodenmessgeräte der Seismographen, kann ihre schiere Menge der Erdbebenforschung doch weiterhelfen, so die QCN-Experten. Allerdings seien bisher erst wenige tausend Rechner beteiligt. Im Sommer diesen Jahres meldeten sie etwa ein Erdbeben der Stärke 5,4 in Los Angeles. Das Netzwerk nutzt dieselbe Software für verteiltes Rechnen, BOINC, mit dem andere Forscherteams die Signale außerirdischer Intelligenz entschlüsseln (SETI@home), Primzahlen finden oder Proteinstrukturen berechnen wollen.

"Wenn ein Erdbeben geschehen sollte, lässt sich mit einem dichten Detektor-Netzwerk eine Frühwarnung durch das Internet zu Nachbarstädten schicken. Das gibt den Menschen bis zu 10 bis 20 Sekunden Vorbereitung, bevor die Erdbebenwellen sie erreichen", erklärt Elizabeth Cochran, Professorin für Geowissenschaften an der University of California, Riverside. Die QCN-Warnung erfolge in Echtzeit, reagiere blitzschnell auf die gehäufte Meldung von Erschütterungen und gebe diese weiter. Professionelle Seismographenstationen hingegen hätten eine Verzögerung von zehn bis 15 Sekunden, in denen die gemessenen Daten an den Forschungszentren verarbeitet würden. Dabei können schon wenige Sekunden helfen, sich bei drohenden Erdbeben in sicherere Ecken des Raumes zu bewegen. Cochran und Jesse Lawrence, Professor an der Stanford University, haben ihr QCN zunächst im Erdbeben gefährdeten Kalifornien angesiedelt. Das Prinzip lässt sich aber über die ganze Welt erweitern, vorausgesetzt, es stehen genügend Kleinrechner vor Ort und eine Internet-Anbindung zur Verfügung. "Es ist nicht nur kostengünstig", so Cochran, "es verlangt auch extrem wenig Rechenleistung vom Prozessor".

Die BOINC-Software greift auf die Beschleunigungssensoren im Laptop zu und filtert Störungen heraus, die etwa vom Türenschlagen oder anderen Alltagserschütterungen herrühren. Die Sensoren in den Festplatten, meist Micro-Elektro-Mechanische System (MEMS), die in Massenfertigung aus Siliziumplatten herausgeätzt werden, registrieren die Geschwindigkeitszunahme des Gerätes. Auch manche Mobiltelefone wie das iPhone oder Geräte wie der Wii-Controller besitzen solche Sensoren. Kritisch für das QCNetzwerk ist die akkurate Weitergabe dieser Signale über das Internet. So sind die korrekten Angaben zu Uhrzeit und Standort noch ein Schwachpunkt des Systems. Da die meisten Laptops noch nicht über GPS-Empfänger verfügen, beruhen die Daten vor allem auf den Koordinaten, die die Nutzer eingeben. Auch die Borduhr am Computer ist oft nicht korrekt eingestellt - dies lässt sich allerdings durch Internet basierte Uhrzeit abfedern. Vor allem aber ist es wichtig, so Cochran, dass die Anzahl der QCN-Teilnehmer steigt. Die Software lässt sich von den Projektseiten kostenlos herunterladen. Zurzeit arbeitet Cochrans Team auch an kostengünstigen Sensorboxen, die sich per USB-Kontakt an Desktop-Rechner anschließen lassen, die über keine eingebauten Festplattensensoren verfügen.

Jedes Jahr erschüttern rund 500.000 Erdbeben messbar ihre Umgebung. Rund 100.000 davon lassen sich auch ohne Messgeräte wahrnehmen, und rund hundert erreichen zerstörerische Stärke. Das geschieht ab Werten von etwa 4 bis 5 auf der nach oben offenen Richter-Skala. Für solche Intensitäten sind die Laptop-Sensoren ideal geeignet, während sie schwächere Erschütterungen - auf die die professionellen Seismographen ausgelegt sind - nicht fein genug messen. Seit dem QCN-Start im Frühjahr erreichte das schwächste gemessene Erdbeben bei Los Angeles den Wert 3,8, das stärkste den Wert 5,4 auf der Richter-Skala.

QCN, University of California Riverside
Quelle: QCN, University of California Riverside


 

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