Eine fünftel Sekunde zum Erkennen brisanter Inhalte
Zwei Gruppen von Versuchspersonen hat das Team um Jos van Berkum vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nijmegen zum Experiment eingeladen: gläubige Christen und Atheisten. Diese zwei Gruppen von Versuchspersonen mit gegensätzlichen Weltanschauungen wurden mit Sätzen konfrontiert, zu denen beide Parteien ganz entschiedene Meinungen hatten. Es ging um Abtreibung, Samenspenden, "Homo-Ehe", Euthanasie und Frauenemanzipation. Während die Probanden die Sätze lasen, wurde ihre Gehirnaktivität mit Hilfe eines Elektroenzephalogramms (EEG) erfasst. Lasen beispielsweise die Versuchspersonen Sätze, die mit "Euthanasie ist akzeptabel, wenn..." begannen, wurden im EEG zwei Effekte sichtbar: der LPP-Effekt und der N400-Effekt. Die LPP-Welle stellt üblicherweise eine emotionale Reaktion auf psychisch belastende Bilder dar. Hier entstand die LPP-Welle, sobald eine Meinungsäußerung der Meinung eines Probanden völlig zuwiderlief oder wenn der Satz absolut seiner eigenen Meinung entsprach. Der N400-Effekt stellt sich normalerweise ein, wenn sprachlicher Unsinn dargeboten wird, etwa "Otto trinkt eine Pizza". Der N400-Effekt wurde in diesem Experiment im Unterschied zum LPP-Effekt nur dann hervorgerufen, wenn eine Versuchsperson eine dargestellte Meinung unter keinen Umständen teilen konnte.
Überraschend für die Forscher war die Geschwindigkeit, mit der die Gehirnreaktionen auftraten. Für die Erkenntnis eines brisanten Inhalts brauchte das Gehirn nur 200 Millisekunden - eine fünftel Sekunde. Das bedeutet, dass ein aufregender oder wütend machender Satzinhalt erkannt wird, bevor der Satz überhaupt vollständig vom Gehirn verarbeitet worden ist.