Detailstudie: Warum Medikamente wirken
„Im Gegensatz zur allgemeinen Ansicht, dass Patienten auf ein Placebo ansprechen, weil sie denken, sie bekommen ein wirksames Medikament, bestärken unsere Ergebnisse die Vorstellung, dass auch die Behandlung mit einem offensichtlichen Placebo einen therapeutischen Nutzen hat“, so die Autoren. Ted Kaptchuk vom Beth Israel Deaconess Medical Center an der Harvard Medical School erläutert näher: „Diese Studie entwirrt die klinischen Effekte von Placebo und Medikation auf eine einzigartige Weise und fügt sie wieder zusammen.“ Nur sehr wenige, wenn überhaupt irgendwelche, Experimente hätten verglichen, wie sich die Wirksamkeit einer Medikation verändert, wenn unterschiedliche Informationen dazu gegeben werden. Die Entdeckung, dass die Schmerzempfindung der Probanden nahezu identisch war, wenn sie dachten, dass ein wirksames Mittel ein Placebo ist, sowie umgekehrt wenn sie dachten, dass ein Placebo ein wirksames Mittel war, zeige: Der Placebo-Effekt ist ein unbeachtetes Hilfsmittel für wirksame Medikationen.
Die Forscher hatten anhand von 459 Migräneattacken bei insgesamt 66 Patienten analysiert, welche Wirkung Migränemittel oder Placebo auf die heftigen Kopfschmerzen haben, wenn sie mit unterschiedlichen Informationen gekoppelt werden. Die Patienten bekamen dazu sechs Umschläge ausgehändigt, die entweder das Medikament mit dem Arzneistoff Rizatriptan oder ein Placebo enthielten sowie eine von drei Informationen zum Inhalt des Umschlags. Diese Beschriftung besagte entweder, dass es sich um das Schmerzmittel beziehungsweise um ein Placebo handelte, oder dass es sich mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent um das eine oder das andere handelte. Die Zusatzinformationen weckten demnach entweder eine positive Erwartung zur Wirkung, eine unsichere und damit neutrale oder eine negative.
„Wenn Patienten Rizatriptan erhielten, das als Placebo beschriftet war, basierte die Behandlung allein auf dem Medikament – aber ohne jegliche positive Erwartung“, erläutert Kaptchuks Kollege Rami Burstein. So wolle man versuchen, den phamazeutischen Effekt des Wirkstoffs von jeglichen Placeboeffekten zu isolieren. War das Placebo als Schmerzmittel beschriftet, sollte umgekehrt der Placeboeffekt von dem des Wirkstoffs getrennt werden. Es gab also sechs mögliche Kombinationen von Tabletten und Informationen. Wenn eine Attacke auftrat, dokumentierten die Patienten Kopfschmerzen und Begleiterscheinungen – wie Übelkeit oder Überempfindlichkeit gegenüber Licht und Geräuschen – eine halbe Stunde sowie zweieinhalb Stunden nach dem Einsetzen der Migräne. Ein erster Migräneanfall, der unbehandelt blieb, diente als Vergleich.
Die Analyse dieser Angaben ergab unter anderem: Das Placebo brachte sogar dann eine schmerzlindernde Wirkung, wenn es als solches beschriftet war. Aber eine positiv belegte Information zu den Tabletten verstärkte die schmerzlindernde Wirkung deutlich – sowohl die von Rizatriptan als auch die des Placebos. „Auch wenn Rizatriptan dem Placebo überlegen war, was die Schmerzlinderung betrifft, fanden wir für jede der drei Zusatzinformationen heraus, dass der Placeboeffekt für mindestens 50 Prozent der insgesamten Schmerzlinderung verantwortlich war“, erklärt Kaptchuk. „Wenn zum Beispiel Rizatriptan als ‚Rizatriptan’ beschriftet war, fiel die Schmerzlinderung des Patienten im Vergleich dazu, wenn Rizatriptan als ‚Placebo’ beschriftet war, mehr als doppelt so hoch aus. Das zeigt uns, dass die Wirkung eines guten Arzneimittels verdoppelt werden kann, indem man den Placeboeffekt verstärkt.“ Burstein ergänzt, dass eine der vielen Konsequenzen der Studie sei, dass Migränemittel wie Rizatriptan effektiver wirkten, wenn Ärzte die Erwartungen ihrer Patienten hoch setzten. „Erhöhte Wirksamkeit bedeutet kürzere Migräneattacken und kürzere Migräneattacken bedeuten, dass man weniger Medikamente benötigt.“