Auch Bakterien verhalten sich selbstlos - zum Wohl der Gemeinschaft

Obwohl sie sich selbst damit schaden, produzieren einzelne resistente Bakterienzellen in Gegenwart eines Antibiotikums einen Signalstoff, der anderen Zellen der Population hilft, zu überleben
Titelbild der Nature-Ausgabe vom 1. September 2010
Titelbild der Nature-Ausgabe vom 1. September 2010
© Nature (www.nature.com)
Boston (USA) - Ein ungewöhnlicher Schutzmechanismus hilft Bakterien, Antibiotika abzuwehren. Einige wenige, resistent gewordene Zellen einer Population verhalten sich uneigennützig und verbessern so die Überlebenschancen der anderen. Sie setzen Indol frei, das als Alarmsignal dient und alle Bakterien veranlasst, Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Dadurch überleben auch solche Zellen, die nicht durch eine Mutation gegen das Antibiotikum resistent geworden sind. Medikamente, die diesen Kommunikationsweg blockieren, würden die Wirksamkeit von Antibiotika verbessern, schreiben die amerikanischen Forscher im Fachjournal "Nature".

"Dieses altruistische Verhalten bestätigt die sich mehrenden Hinweise darauf, dass einzellige Organismen als Gemeinschaften agieren", sagt James Collins vom Howard Hughes Medical Institute in Boston. Er und seine Kollegen von der Boston University entdeckten eine uneigennützige Reaktion einzelner Bakterienzellen, als sie eine Flüssigkultur von E. coli-Bakterien in einem Bioreaktor mit steigenden Konzentrationen des Antibiotikums Norfloxacin konfrontierten. Wie erwartet, vermehrten sich nach mehrtägiger Anzucht mutierte Bakterien, die gegen das Antibiotikum resistent geworden waren. Völlig überrascht stellten die Forscher dann aber fest, dass sich die erhöhte Resistenz nicht nur auf diese, weniger als ein Prozent ausmachenden Zellen der Gesamtkultur beschränkte. Die Population als Ganzes war widerstandsfähiger geworden. Ähnliche Ergebnisse erzielten die Forscher auch bei Einsatz eines anderen Antibiotikums.

Des Rätsels Lösung: Die wenigen mutierten Bakterien halfen der Mehrheit der anderen zu überleben, indem sie verstärkt Tryptophanase produzierten. Dieses Enzym spaltet die Aminosäure Tryptophan, wobei Indol freigesetzt wird. Indol hat die Funktion eines Stress-Signals und löst zwei Schutzreaktionen aus, von denen alle Bakterien im Kulturgefäß profitieren: Zum einen werden molekulare Pumpen aktiviert, die das Antibiotikum schneller wieder aus der Zelle transportieren. Zum anderen verstärkt sich der Schutz vor freien Sauerstoffradikalen, die ein Antibiotikum als Nebenwirkung erzeugt. Die energieaufwändige Indolproduktion ist für die bereits resistente Zelle selbst nicht nur nutzlos, sondern sogar nachteilig, da sie ihre Vermehrung verlangsamt. Damit verhalten sie sich uneigennützig zum Wohl der Gesamtpopulation. Doch da diese aus genetisch sehr ähnlichen Mitgliedern besteht, schützt ein solches Verhalten den gemeinsamen Genpool. Mit demselben Argument erklärt die Evolutionsbiologie die Entwicklung des altruistischen Verhaltens gegenüber Verwandten bei Mensch und Tier. Wahrscheinlich existiert dieses Verhaltensmuster auch bei anderen Bakterien und anderen einzelligen Lebewesen. Die Kommunikation zwischen den Bakterien zu blockieren - indem man beispielsweise die Freisetzung von Indol verhindert - könnte eine wichtige neue Waffe im Kampf gegen immer resistentere Keime werden.

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Quelle: "Bacterial charity work leads to population-wide resistance", Henry H. Lee et al.; Nature, Vol. 467, p. 82, doi:10.1038/nature09354


 

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