Zurück zu den Wurzeln: Per Computer auf der Suche nach den Ursprachen

Ein neues automatisiertes System könnte Linguisten helfen, die Urformen moderner Sprachen zu rekonstruieren
Ein Straßenschild auf Korsika: Korsisch ist ein Dialekt der Italoromania. Die nördlichen Dialekte sind mit dem toskanischen Italienisch, die südlichen mit  nordsardischen Dialekten verwandt
Ein Straßenschild auf Korsika: Korsisch ist ein Dialekt der Italoromania. Die nördlichen Dialekte sind mit dem toskanischen Italienisch, die südlichen mit nordsardischen Dialekten verwandt
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Vancouver (Kanada) - Seit dem 18. Jahrhundert befasst sich die historische Sprachwissenschaft mit der Rekonstruktion jener Ursprachen, die unseren modernen Sprachen zugrunde liegen. Weil von diesen sogenannten Protosprachen häufig keine schriftlichen Überlieferungen mehr existieren, war die Suche nach diesen Sprachfamilien bisher sehr aufwendig. Bis auf wenige Ausnahmen wie das Lateinische, das als Ursprache der romanischen Sprachen außerordentlich gut belegt ist, mussten sich die Linguisten in mühevoller Kleinarbeit mit Stift und Papier auf die Suche nach den Protosprachen begeben. Kanadischen Forschern ist es nun jedoch gelungen, ein automatisiertes System zur Wiederherstellung von Sprachen zu entwickeln, welches sie im Fachblatt „Proceedings of the National Academy of Sciences“ vorstellen.

„Die Formen dieser alten Grundsprachen zu identifizieren ermöglicht es uns, bisherige Theorien über das Wesen des Sprachwandels zu überprüfen und daraus Schlussfolgerungen über die Geschichte des Menschen herzuleiten, sagt Alexandre Bouchard-Côté von der University of British Columbia. Das Herleiten von Protosprachen sei nicht nur aus sprachhistorischer Sicht interessant, sondern könne viele Aspekte der prähistorischen Gesellschaften beleuchten helfen, etwa Migrationsbewegungen und das technologische Niveau. Laute und Wörter heutiger miteinander verwandter Sprachen lassen sich so per Computeralgorithmus vergleichen, um deren gemeinsame Urform zu rekonstruieren. Als Ursprache bezeichnet die Sprachwissenschaft eine Sprachform, aus der alle Einzelsprachen einer Sprachfamilie erwachsen sind. Worte aus modernen Sprachen werden dazu in Einzelmengen aus Worten vermeintlich gleicher Abstammung geordnet. Mithilfe dieses Vergleichs noch lebendiger Einzelsprachen konnte beispielsweise das Proto-Indogermanische aus seinen heutigen Tochtersprachen – den indogermanischen Einzelsprachen - rekonstruiert werden.

Bouchard-Côté und seine Kollegen entwickelten ein System, das mithilfe statistischer Modelle Lautverschiebungen bei den modernen Sprachen auf dem Niveau der kleinsten phonetischen Einheiten nachvollziehbar macht. Durch die Untersuchung der Schreibweise von Lauten zu verschiedenen Zeitpunkten der Geschichte steht somit ein Modell zur Verfügung, das Auskunft über die Art der Lautveränderungen geben kann. „Dadurch können wir schnell und effizient verschiedene theoretisch verwandte Wortgruppen miteinander vergleichen und die verwandten Sets automatisch herleiten“, so die Forscher.

Für ihre Studie nutzten die Wissenschaftler einen Bestand von mehr als 142.000 Wörtern aus 637 modernen austronesischen Sprachen. Das Austronesische ist eine der größten und am weitesten verbreiteten Sprachfamilien. Sie wird in Südostasien, dem Pazifik und Teilen Kontinentalasiens gesprochen und beinhaltet etwa 1.150 Einzelsprachen. Ein manueller Vergleich von Wörtern dieser Einzelsprachen wäre in diesem Fall ein extrem langwieriges Unterfangen, mit dem computerbasierten Verfahren jedoch ließ sich innerhalb kurzer Zeit ein ganzer Satz aus Protosprachen rekonstruieren.

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