Wie das Gehirn-Wörterbuch aufgebaut ist

Wie die Hauptwörter einer Sprache im Gehirn sortiert werden, haben jetzt erstmals amerikanische Neurowissenschaftler zeigen können
Pittsburgh (USA) - Das Gehirn sortiert die Wörter einer Sprache nicht in alphabetischer Reihenfolge, sondern in bestimmten Sinnzusammenhängen. Wie diese aussehen, haben jetzt amerikanische Forscher durch Beobachtung von Gehirnaktivität mithilfe von Bildgebungsverfahren herausgefunden. Wenn man die Kategorien kennt, nach denen die (Haupt-)wörter einer Sprache geordnet werden, sei es sogar möglich, aufgrund aktivierter Gehirnregionen bei Individuen vorauszusagen, an welches Wort sie gerade dachten, legen die Forscher in der Fachzeitschrift "PLoS one" dar.

"Wir haben tatsächlich entdeckt, wie das Wörterbuch des Gehirns organisiert ist", erklärt Marcel Just von der Carnegie Mellon University. "Es ist nicht nach dem Alphabet sortiert und auch nicht nach der Größe der Objekte oder ihrer Farben, sondern es sind drei Basismerkmale, die das Gehirn nutzt, um gewöhnliche Substantive (Hauptwörter) wie 'Appartement', 'Hammer' oder 'Möhre' zu bestimmen."

Diese drei Basismerkmale sind 1. die Art, wie man körperlich mit einem bezeichneten Ding umgeht, also ob man es schiebt, zieht, umfasst, greift oder anderes; 2. die Weise, in der es mit Nahrungsaufnahme verbunden ist; 3. der Bezug zu einem schützenden Raum oder einer Umfriedung. Es sind allerdings noch mehr Basismerkmale möglich, räumen die Forscher ein. So haben sie beispielsweise Wörter, die mit Liebe, Beziehung, Sex und Fortpflanzung zu tun haben, noch gar nicht einbezogen. Und hierzu gäbe es sicher ein weiteres Basismerkmal.

Die drei jetzt betrachteten Merkmale werden in drei bis fünf verschiedenen Gehirnregionen codiert. Dies konnten die Forscher ermitteln, indem sie Versuchspersonen 60 Substantive nannten, die gegenständliche Objekte bezeichneten, und beobachteten, in welchen Gehirnregionen sich jeweils eine erhöhte Aktivität zeigte. Dabei zeigte sich zum Beispiel, dass das Wort "Appartement" in jenen fünf Gehirnregionen, die Wörter aus dem Bereich "Schutz, Umfriedung" verarbeiteten, eine erhöhte Gehirnaktivität hervorrief. Dagegen aktivierte "Hammer" den motorischen Cortex, um dort die physikalische Handlung der Hammerhandhabung codieren zu lassen. "Für das Gehirn ist der Teil der Bedeutung von 'Hammer' entscheidend, der besagt, wie man einen Hammer hält", erklärt Vladimir Cherkassky. "Und dann ist es der sensumotorische Cortex, der 'Hammer halten' codiert."

Die Erkenntnismöglichkeiten der Forscher gehen noch weiter: Nachdem sie die Basismerkmale zur Sortierung der Substantive gefunden haben, ist auch der umgekehrte Weg möglich, nämlich anhand der Gehirnaktivitäten, die zu diesen Basismerkmalen gehören, zu bestimmen, an welches Wort jemand gedacht hat. Marcel Just, Vladimir Cherkassky und ihre Kollegen haben ein Computerprogramm entwickelt, das die Aktivierungsmuster im Gehirn mit konkreten Wörtern speichert. Denkt nun eine Versuchsperson erneut an ein bestimmtes Wort aus der vorher genutzten Auswahl, kann das Programm durch Abgleich der vorher gewonnenen Aktivitätsmuster sagen, an welches Wort die Versuchsperson gedacht hat. Die Trefferquote lag beim konkreten Ausprobieren immerhin bei 84 Prozent. Die Forscher versprechen sich von diesen Erkenntnissen die Möglichkeit, psychische Erkrankungen und Störungen besser behandeln zu können. "Bei psychischen Krankheiten sind manchmal Bedeutungen von Wörtern verzerrt", erklärt Just. "Zum Beispiel könnte ein Individuum, das an Agoraphobie, der Angst vor großen, leeren Plätzen leidet, eine übertrieben starke Codierung für das Merkmal 'Schutz, Umfriedung' im Gehirn zeigen. Die neuen Techniken machen es möglich, diese Verzerrungen zu messen und sie zu entzerren."

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Quelle: "A Neurosemantic Theory of Concrete Noun Representation Based on the Underlying Brain Codes", Marcel Just, Vladimir Cherkassky et al.; PLoS ONE, 2010; 5 (1): e8622 DOI: 10.1371/journal.pone.0008622


 

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